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Mordspech (German Edition)

Mordspech (German Edition)

Titel: Mordspech (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Prolog
    Abstand ist wichtig. Größtmöglicher Abstand. Man hinterlässt keine Spuren, wenn man Abstand hält. Eine Kugel und ein Loch im Kopf des Toten. Mehr gibt es nicht. Und auch die Kugel wird man sich bald sparen können. In Amerika experimentieren sie schon mit Laserwaffen.
    Tante Tilly schraubte ihr Arctic Warfare zusammen. Eine Sonderanfertigung extra für die Bundeswehr. Im Bosnienkrieg hatten sich die Soldaten der internationalen Schutztruppe mit dem G3-Sturmgewehr den serbischen Snipern stark unterlegen gefühlt. Das Heer veranlasste daher die Ausschreibung einer Neuentwicklung, an der sich alle führenden westeuropäischen Waffenfirmen beteiligten. Die Engländer bekamen den Zuschlag. Wegen des Sofortbedarfs lieferten sie umgehend achtundfünfzig Präzisionsgewehre der Marke Arctic Warfare Magnum. Sie kamen nie bei der Bundeswehr an.
    Tante Tilly lächelte. Zu den Modifizierungen ihrer Waffe gehörten Dreibein, Schall- und Rückstoßdämpfer sowie ein wegklappbarer Hinterschaft. Nahm man dazu noch den Lauf ab, passte die Waffe in jeden Sportrucksack. Einen sogenannten City Bag, wie die Dinger heute Neudeutsch hießen. Millionen von Touristen und Praktikanten liefen in dieser Stadt damit herum. Unauffälliger ging es nicht.
    Sie öffnete das schmale Dachfenster und richtete das Gewehr aus. Die Erstschusstrefferwahrscheinlichkeit auf tausendfünfhundert Meter lag bei offiziell achtzig Prozent. Mit etwas Übung und bei guter Sicht waren es mehr. Tante Tilly war Profi. Sie traf mit dem Arctic Warfare auf tausend Meter jede Ratte.
    Heute lag das Zielobjekt, so zeigte es der Entfernungsmesser im Visier, in exakt 357,82 Metern Distanz. Die Sicht war gut, obwohl es regnete und sich viele der Menschen auf den Straßen unter großen, nass glänzenden Schirmen versteckten. Mitunter verdeckten sie das Ziel. Ein größeres Problem war der Verkehr auf der viel befahrenen Kreuzung am John-F.-Kennedy-Platz. Immer wieder kreuzten Lkws und Doppeldeckerbusse die Schussbahn, und etwaige Kollateralschäden konnte sich Tante Tilly nicht leisten.
    Sie sah auf die Uhr und wartete. Wenn man in dem Job Erfolg haben will, muss man Geduld haben. Ausdauer und das Gespür für den richtigen Augenblick unter Einbeziehung aller äußeren Faktoren.
    Eine Grünphase auf der Martin-Luther-Straße dauerte zwei Minuten und sechsundvierzig Sekunden. Dann schalteten die Ampeln auf Gelb, um kurz darauf den Verkehr von der Belziger Straße anderthalb Minuten lang auf die Kreuzung zu lassen. Tante Tilly hatte die Umschaltphasen präzise ausgemessen und herausgefunden, dass vor jedem Wechsel sechs Sekunden lang alle Ampeln auf Rot standen. Ein Zeitfenster, mit dem die Planer sicherstellen wollten, dass die Kreuzung wirklich frei von Fahrzeugen war, bevor der Verkehr aus der anderen Richtung freigegeben wurde. Zwischen jeder Ampelphase also standen die Autos auf dem John-F.-Kennedy-Platz ganze sechs Sekunden lang still. Und genau diesen Umstand galt es zu nutzen.
    Tante Tilly visierte ihr Ziel konzentriert an. Fünfzehn Sekunden bevor die Ampeln auf Gelb schalteten, drückte sie die Wähltaste ihres Handys. Irgendwo da drüben klingelte jetzt ein Telefon. Sie hatte es genau im Fadenkreuz. Jemand nahm ab. Die Ampeln schalteten auf Rot, die Kreuzung war frei. Kein Laster verdeckte das Schussfeld und kein Doppeldeckerbus. Freie Sicht für sechs Sekunden, es war einfach perfekt.
    Eins. Zwo. Tante Tilly drückte den Abzug ihres Präzisionsgewehrs durch. Drei Sekunden. – Schuss!
    Und knapp sechshundertachtundfünfzig Meter entfernt löste sich ein aufgeschreckter Vogelschwarm aus den Bäumen am Straßenrand und verlor sich im verregneten Berliner Sommerhimmel.

1    EINE DER JÜNGSTEN GEISSELN unserer Zeit ist die stete Erreichbarkeit. Noch vor ein paar Jahren haben wir uns über auf der Straße telefonierende Italienerinnen und permanent in ihr Mobilephone plärrende Businessmen lustig gemacht. Das Funktelefon, so schien es, war wie das Karmann-Cabriolet oder der mit Zahlenschloss gesicherte Aktenkoffer nur ein weiteres neumodisches Accessoire profilneurotischer Wichtigtuer. Ein kurzlebiges Spielzeug für Anzugträger und Dolce-&-Gabbana-Frauen, eine Modeerscheinung wie einst Walkman oder Zauberwürfel. Beide sind, wie der Aktenkoffer, fast völlig aus dem Straßenbild verschwunden, und das Karmann-Cabrio musste bulligen, als SUV oder Sports Utility Vehicles bezeichneten Geländewagen weichen. Einzig das Mobiltelefon ist geblieben. Als Handy

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