0280 - Turm der weißen Vampire
du immer denken.«
»Was will er denn von mir?«
»Das sagt er dir sicherlich selbst. Du solltest dich beeilen, und vor allen Dingen wollen wir nicht, daß du den anderen Männern Bescheid sagst. Dein Vater will allein mit dir reden. Dies hat er zur Bedingung gemacht. Beeil dich jetzt, wir können nicht mehr lange warten, Ruth Thompson.«
Die Frau zögerte noch. Entweder war alles ein gewaltiger Bluff, der nur dazu diente, sie in die Falle zu locken – oder eine Tatsache, die zu einem großen Plan gehörte, den sie bisher nicht durchschaut hatte.
»Willst du?«
Plötzlich nickte Ruth. Eigentlich gegen ihre Überzeugung, aber die Worte der Blutsauger hatten sie so angemacht, daß sie einfach nicht anders konnte.
»Das ist gut«, wurde ihr gesagt. »Sogar sehr gut. Dein Vater wird es dir sicherlich danken.«
»Und er befindet sich tatsächlich im Turm?«
»Ja, er wartete, auf dich.«
Sie atmete tief durch. »Ich werde kommen«, erklärte sie noch einmal und schritt vor.
Die drei Blutsauger an den Eingängen des Kirchenschiffs beobachteten jede ihrer Bewegungen. Sie bekamen mit, wie sie den Gang hochschritt und auf den Altar zuging, wo das Kreuz stand.
Bevor Ruth die Reihe hinter sich gelassen hatte, hörte sie noch den scharfen Ruf: »Halt, keinen Schritt weiter!«
Ruth erschreckte sich dermaßen, daß sie tatsächlich stoppte. »Wir haben noch eine Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Du mußt etwas mitbringen.«
»Was denn?« erkundigte sie sich überrascht.
»Es ist eine silberne Feder.«
Ruth runzelte die Stirn. »Die im Hals des Toten steckte?«
»Genau die. Wir wollen sie haben. Erst wenn du sie mitbringst, kannst du mit deinem Vater sprechen. Wir verlangen nur diese kleine Gegenleistung.«
»Aber ich habe sie nicht.«
»Das wissen wir auch. Deshalb wirst du sie einem der drei Männer abnehmen.«
Wild schüttelte Ruth den Kopf. »So etwas geht nicht. Niemals würden sie mir die Feder überlassen. Sie ist ein Beweisstück…«
»Denk an deinen Vater, denn auch für ihn ist die Feder ungemein wichtig…« Nach diesen Worten zogen sich die Vampire zurück, und sie schlossen auch die Tür zur Sakristei. Gedämpft vernahm Ruth Thompson ihre letzten Worte. »Wir warten auf dich im Turm…«
Sie schrak zusammen, als auch das normale Eingangsportal mit einem dumpfen Laut geschlossen wurde. Nichts hörte sie mehr. In der Kirche stand sie völlig allein. Für einen Moment legte sie den Kopf in den Nacken und schloß die Augen. Sie spürte den anrollenden Schwindel, der sie überkam, und sie wankte zurück, um sich an einer Bank abzustützen. Dann ließ sie sich nieder.
Das Sitzen tat gut. Allmählich überwand sie den Schock und auch den Schrecken. Die Blutsauger waren verschwunden. Sie hatten ihre Forderungen gestellt und sie allein gelassen. War es Bluff, oder war es echt?
Diese Frage beschäftigte Ruth. Und sie dachte auch an die Feder, die die drei Vampire haben wollten. Welchen Grund hatte dies?
Was wollten sie mit der silbernen Feder anstellen?
Ruth wußte es nicht. Sie wußte überhaupt nichts mehr, denn sie war völlig durcheinander. Man hatte ihr den Rat gegeben, nicht mit den drei Männern in Kontakt zu treten, aber konnte sie sich daran überhaupt halten?
Ruth war hin- und hergerissen. Sie hatte sehr an ihrem Vater gehangen. Seit dem Tode ihrer Mutter war er der einzige gewesen, mit dem sie hatte noch reden können. Einen anderen Mann gab es in ihrer Verwandtschaft und auch in ihrem Bekanntenkreis nicht.
Ein Toter! Oder nicht? Angeblich sollte er ja nicht gestorben sein, sondern noch leben. Wenn das stimmte, dann lebte er sicherlich nicht als normaler Mensch, sondern als Vampir, und konnte man so etwas überhaupt als Leben bezeichnen?
Nein, sie wollte es nicht glauben. Als Vampir zu leben und zu existieren, das war grauenhaft, das konnte man beim besten Willen nicht als Leben bezeichnen, und sie schüttelte sich, als sie daran dachte. Sie stellte sich vor, wie sie plötzlich ihrem Vater gegenüberstand, er sie anschaute und seine Vampirzähne leuchteten…
Das Schleifen des Eingangsportals riß sie aus ihren Gedanken. Sie schrak zusammen, drehte den Kopf und sah die Umrisse der drei Männer. Besonders fiel der Pater in seiner langen Kutte auf. Er lief jetzt auch vor, und sein Gesicht strahlte. »Bist du wieder okay, Mädchen?« rief er.
»Ja, ja – ja…« Ruth war völlig durcheinander. Sie hoffte, daß die anderen nichts merkten, und sie sah den Pater, der vor ihr stehengeblieben
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