0285 - Parkweg des Grauens
Striche verliefen von der Höhe der Brust her unregelmäßig nach unten. Phil besah sich den Mantel unverständlich lange.
»Gibt es in der Nähe einen Fotografen?«, fragte er plötzlich mit dem energischen Tonfall des Mannes, der zielbewusst auf etwas zusteuert.
»Ja, Sir, bei…«
»Nehmen Sie den Mantel!«, unterbrach Phil. »Gehen Sie sofort zu dem Fotografen. Er soll die Spuren der Feuchtigkeit möglichst deutlich fotografieren. Mehrere Aufnahmen. Mantel und Bilder auf Rechnung des FBI. Haben Sie verstanden?«
»Ja, Sir!«
»Dann los. Halten Sie sich nicht auf, damit die Feuchtigkeit nicht verdunstet ist, bevor die Bilder gemacht sind.«
Phil lief bereits wieder die Treppe hinab, bevor ich richtig verstanden hatte, was der Cop tun sollte. Ich jagte ihm nach. Ein paar Minuten später standen wir vor der Tür der Kneipe.
»Jerry«, sagte Phil und sah mich bittend an, »frag jetzt nicht, aber tu mir einen Gefallen, ja?«
»Meinetwegen«, brummte ich achselzuckend. »Und was?«
»Geh mit Slate Caller auf die Herrentoilette. Stell ihm irgendwelche Fragen über Harper oder die Örtlichkeiten. Das kann nicht auffallen. Aber halte ihn ein paar Minuten da hinten fest. Willst du?«
»Warum nicht?«, erwiderte ich. »Ich habe zwar keine Ahnung, was du willst, aber bitte! Versuchen wir es.«
Wir betraten das Lokal. Es war kurz vor elf Uhr vormittags. Außer Slate Caller war niemand drin. Er begrüßte uns scherzend. Ich sagte ihm, es wären noch ein paar Kleinigkeiten wegen Harper zu klären. Ob er so freundlich wäre, mal mit nach hinten zu kommen.
»Selbstverständlich«, erwiderte er. »Das muss ich doch.«
Wir gingen hinaus. Gute zehn Minuten lang unterhielt ich mich mit Slate Caller über Harpers Ermordung, wobei ich ihn aufforderte, vom Hof her hereinzurufen, wenn er meinen Schatten hinter dem unteren Teil des Fensters sehen könne, wann er Kopf und Arme durch das genarbte Glas hindurch erkennen könne und so weiter. Wir standen wieder in der Toilette, als Phil hereinkam.
»Okay«, sagte er nur.
Wir gingen zusammen wieder nach vorn.
»Was ist denn das da?«, fragte Phil.
Er zeigte auf die Wand oberhalb der Eckbank. Ziemlich weit oben gab es eine Lüftungsklappe. Sie stand einen Spalt offen. Zwei Streifen Heftpflaster hingen heraus. An ihnen klebte eine Pistole, aber es sah so aus, als würde sie jeden Augenblick herunterfallen.
Ich sah zuerst Phil und dann Caller an. Und plötzlich sah ich es. Caller schluckte krampfhaft. Seine Augen waren starr auf die Pistole gerichtet. Der Schweiß stand ihm glitzernd auf der Stirn. Seine Lippen bewegten sich leise, ohne dass ein Ton über sie gekommen wäre.
Zuerst wirkte es, als kämpfe Caller gegen irgendetwas an. Seine Schläfenadern traten weit aus der Haut. Man konnte das Blut in ihnen pulsieren sehen. Dann setzte er sich plötzlich in Bewegung und stieg mit nachtwandlerischen Bewegungen auf den Stuhl neben der Bank. Er streckte die Arme aus und griff nach der Pistole. Aber zugleich wirkte es, als handle gar nicht er selbst, sondern etwas Rätselhaftes in ihm.
Er nahm die Pistole, stieg herab und sah uns an, ohne uns zu sehen.
»Tot!«, sagte seine plötzlich sehr helle, beinahe kindliche Stimme. »Tot! Tot!«
Und dabei drückte er jedes Mal ab. Der Bolzen klatschte metallisch hart auf, denn Phil hatte das Magazin herausgenommen .
***
»Schizophrenie oder so was«, sagte Phil, als wir eine Stunde später hinter dem geschlossenen Wagen der Heilanstalt herfuhren. »Gestern Nachmittag war ein Junge bei ihm, der Botengänge für ihn erledigt. Weil er beide Hände zum Tragen seiner Päckchen brauchte, ließ er seinen Spielzeugcolt bei Caller zurück. Äußerlich sah er ziemlich täuschend nach einer echten Waffe aus. In Wahrheit war es eine von diesen Dingern, mit denen man Wasser verspritzen kann…«
Er steckte sich eine Zigarette an und blies langsam den Rauch aus.
»Caller kann wohl eine echte Waffe nicht von einem Spielzeug unterscheiden, wenn es ihn gepackt hat. Als der Cop von dem nassen Mantei bei Änn Millertoe erzählte, fiel mir sofort die Spielzeugpistole ein. Seine richtige Pistole hatten wir doch auf der Bank gefunden und mitgenommen! In seinem Anfall nahm er den Colt…«
»Dann war er also der Parkmörder«, meinte ich kopfschüttelnd. »Zu begreifen ist das wohl nicht.«
»Kaum«, meinte Phil. »Vielleicht wird nie jemand wissen, was ihn dazu zwang, nachts plötzlich zu töten. Und ehrlich gesagt, ich möchte es auch gar nicht wissen.
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