0295 - Tal der vergessenen Toten
du mich denn noch?«
»Und wie. Du bist schließlich ein Zeuge.«
Gerd wartete. Eine Viertelstunde später hörten sie einen Wagen. Es war die Polizei, und die beiden atmeten auf.
***
Sie saßen im Wohnraum zusammen und schwiegen. Auf dem Tisch standen zwei Flaschen Bier, zwei Gläser und auch die Flasche Wacholder. Gerd war nicht mehr da. Er tanzte schon in der Disco.
So hockten Lisa und Karl Wiesner allein in der Wohnung.
Karl hatte alles erzählt. Die Polizisten waren kaum weg, als Lisa zurückkehrte.
Sie war bleich geworden, als sie hörte, was ihren beiden »Männern« widerfahren war. Noch jetzt saß der Schock tief, und sie hatten wenig miteinander gesprochen.
»Willst du denn nichts essen, Karl?«
Wiesner schüttelte den Kopf. »Keinen Hunger.«
Lisa verdrehte die Augen. »Es ist doch alles vorbei. Du brauchst nicht mehr dran zu denken. Die Polizisten haben die Hand mitgenommen. Sie werden sie untersuchen. Wie oft wird hier etwas gefunden, das weißt du selbst genau.«
»Aber keine Hände in Briketts.«
»Wer weiß, was alles möglich ist.«
»Das war bestimmt ein Mordfall«, sagte Wiesner.
Lisa hob die Schultern. »Möglich.« Sie war eine etwas zu schlanke Frau, wie Karl immer fand. Für ihre vierzig Jahre hatte sie sich noch gut gehalten, und am besten hatten Karl immer die herrlich blauen Augen gefallen. Die hatte sie als junges Mädchen schon gehabt. Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit, denn Lisa stammte aus dem Nachbardorf. An diesem Abend hatte sie sich nicht umgezogen, sondern trug noch die Sachen, die sie auf der Fahrt nach Köln angehabt hatte.
Jetzt schaute sie auf die Uhr.
»Willst du noch weg?« fragte Karl, der den Blick sehr genau bemerkt hatte.
»Nein.«
»Was treibt dich dann?«
»Der Kuli.«
»Wieso?«
»Heute ist Samstag und EWG.«
»Ach so.« Karl winkte ab. »Da gönne ich mir lieber ein Bier.«
»Willst du das nicht sehen?«
»Nein, keinen Nerv.«
»Aber ich.«
»Bitte. Dagegen habe ich nichts.« Wiesner legte sich zurück und streckte die Beine aus. Seine Frau saß in einem Sessel, während er es sich auf der Couch bequem gemacht hatte. Die Glotze stand in ihrer beider Blickfeld. Zudem lag die Fernbedienung auf dem Tisch und griffbereit in Lisas Nähe.
Sie drückte auf den Knopf für das erste Programm und bekam noch den Rest der Wetterkarte mit.
»Das schöne Wetter bleibt«, sagte sie.
»Meinetwegen.« Karl hielt die Augen halb geschlossen. Er merkte eine gewisse Müdigkeit, die auf den Alkoholkonsum zurückzuführen war.
»Hat Gerd eigentlich eine Zeit gesagt, wann er zurück sein will?« fragte Lisa.
»Nein.«
»Wenn er erst nach Mitternacht kommt, werde ich sauer. Du hast ihm doch hoffentlich kein Geld gegeben?«
»Doch.«
»Und ich hatte es abgelehnt.«
»Es war der Schock.« Bei dieser Antwort klang die Stimme des Mannes bereits müde. Auch das Auftreten des charmanten Quizmeisters konnte ihn nicht von seinem Schlaf abhalten. So fielen ihm fast von allein die Augen zu, während Lisa ihren Spaß hatte und sich über eine wirklich gelungene Sendung freute.
Die Zeit verging wie im Flug. Einmal nur stellte sie lauter, um das Schnarchen ihres Mannes zu übertönen, und als der Schlußbeifall aufbrandete, überlegte sie, ob sie sich noch ein Spätfilm mit John Wayne anschauen sollte.
Aber für Kriegsfilme hatte sie nicht viel übrig. Deshalb schaltete sie den Apparat aus, gähnte ausgiebig und fand, daß im Wohnzimmer eine schlechte Luft herrschte.
Lisa ging zum Fenster und öffnete es. Ihr Haus gehörte zu den älteren im Ort. Die meisten waren neu. Das konnten sich die Leute leisten, denn die Abbaufirmen hatten sie großzügig abgefunden. Von dem Geld konnten sich die Menschen neue Häuser bauen.
Als Lisa sich den Rahmen anschaute, dachte sie daran, daß es Zeit wurde, neue Fenster einzubauen.
Das aber kostete Geld. Und finanziell ging es ihnen nicht besonders. Das Leben war teuer.
Kühle Herbstluft strömte in den Raum. Der Nebel hatte gegen Abend wieder zugenommen. Als wallende Wolken zog er behäbig durch den Garten hinter dem Haus. Er umspielte die Obstbäume auf der Wiese, kroch über die Sträucher und berührte auch die Beete.
Lisa Wiesner dachte wieder an den Fund. Sie fröstelte dabei und war froh, die Hand selbst nicht gesehen zu haben. Wem konnte sie nur gehören? Darüber dachte sie nach, als sie sich aus dem Fenster lehnte und in den Nebel schaute. Sollte vielleicht ein Verbrechen geschehen sein? Möglich war alles. Auch
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