0303 - Auf ihn wartet der Sarg
sollte noch am gleichen Tag geschehen. Während des Vormittags schlief ich mich ordentlich aus.
Dann lunchte ich mit Phil in einem Steakhaus am Broadway, und dabei hatte mein Freund eine Idee: »Was hältst du davon«, sagte er zwischen zwei Bissen, »wenn wir Bianca Piconi Bescheid geben. Die arme Frau hat lange genug um ihren Gino geweint. Jetzt steht so gut wie fest, dass er aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Also?«
»Okay«, erwiderte ich. »Ginos Wohnung liegt in der 74. Straße. Fahren wir hin.«'
Wir beendeten unsere Mahlzeit, kletterten in den Jaguar und fuhren Richtung Osten. Wir durchquerten den Central Park und gelangten schließlich zur 74. Straße.
Das Haus, in dem die Piconis wohnten, war ein alter Bau. Keiner der üblichen Wohnblöcke, sondern ein für sich allein stehendes Gebäude, fünfstöckig, grau und mindestens ein halbes Jahrhundert alt.
Wir parkten den Jaguar am Straßenrand, überquerten den mit Schneematsch bedeckten Gehsteig und betraten das Haus.
Im Innern war es bedeutend gepflegter, als man vermutet hätte.
Einen Lift gab es nicht. Wir stiegen die blank gescheuerten Stufen empor, und gelangten in den vierten Stock.
Die erste Tür linker Hand trug ein Messingschild mit dem Namen Piconi.
Ich hatte schon die Hand erhoben, um gegen die Tür zu klopfen, als mich das Geschrei einer schrillen Frauenstimme innehalten ließ.
Die Frau konnte sich nicht in dem Raum hinter der Tür befinden, die Stimme war nur undeutlich zu vernehmen.
Was sie schrie verstand ich nicht, da die Worte Italienisch waren.
»Nanu?«, wunderte sich Phil. »Mit wem schimpft sie denn? Gino kann doch noch nicht wieder zu Hause sein.«
»Sehen wir nach!«
Nachdem ich drei Mal vernehmlich geklopft hatte, verstummte das Geschrei.
Schritte näherten sich von innen. Dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet.
Bianca Piconis Gesicht erschien.
Es war rot und angeschwollen.
Die Augen schimmerten feucht.
Die Haare waren wirr und zerzaust.
»Was wollen Sie?«, fauchte die Frau.
Ich zog meinen Hut.
»Sie kennen mich doch, Mrs. Piconi.«
»Nein, scheren Sie sich…«
Sie stutzte, sah mich genauer an und meinte dann: »Sie sind doch der Cop, der zu Ginos Kunden zählt.«
»Ja, allerdings. Und meinen Kollegen hier«, ich deutete auf Phil, »dürften Sie auch kennen.«
Sie nickte. »Und?«
»Wir wollten Ihnen eine Nachricht bringen.«
»Von wem?«
»Eine Nachricht von Gino.«
»Was ist mit dem Mörder?«
»Wie bitte?« Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Glauben Sie etwa, dass Ihr Mann Sam Breen umgebracht hat?«
»Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt. Aber, was soll das Ganze? Machen Sie es kurz. Ich habe wenig Zeit.«
»Dürfen wir einen Moment reinkommen?«
»Nein. Das… das… ist jetzt nicht möglich.«
Ich wechselte einen Blick mit Phil.
»Warum nicht?«
»Verdammt, sind Sie hartnäckig. Ich glaube…«
Sie wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen.
Aber blitzschnell setzte ich den Fuß in den Spalt.
»Was fällt Ihnen ein«, zischte sie mich an.
»Wir sind noch nicht fertig, Mrs. Piconi.«
»Ich habe nichts mehr mit Ihnen zu reden.«
»Aber ich mit Ihnen, Mrs. Piconi.«
»Nehmen Sie den Fuß weg.«
»Nur, wenn Sie uns einlassen.«
»Nein, ich…«
Sie versuchte, mir gegen das Schienbein zu treten.
Langsam drückte ich die Tür auf.
»Sie haben kein Recht, hier einzudringen«, kreischte die junge Italienerin.
»Doch!«
»Sie haben keinen Durchsuchungsbefehl.«
»Den zeigen wir Ihnen später.«
Die Italienerin hatte recht. Unser Vorgehen war nicht ganz korrekt. Aber ich war davon überzeugt, dass hier in der Wohnung etwas vor sich ging, dass unsere Abwesenheit erforderlich machte. Auch, wenn Bianca Piconi das nicht einsehen wollte.
Hinter der Eingangstür lag eine kleine Diele, von der drei Türen abzweigten. Zwei waren geschlossen, die dritte aber nur angelehnt.
Als ich auf sie zuging, fuhr mir die Frau mit gespreizten Fingern ins Gesicht. Ich konnte sie im letzten Augenblick abwehren.
»Kümmere du dich um die Wildkatze«, sagte ich zu Phil, drückte ihm die wild um sich schlagende Italienerin in den Arm, ging durch die Diele, stieß die angelehnte Tür auf und stand - mir selbst gegenüber.
***
Ich war im ersten Moment so überrascht, dass ich mich nicht rührte.
Ich hatte also doch so etwas wie einen Doppelgänger. Und auf den ersten Blick sah er mir wirklich verteufelt ähnlich.
Er starrte mich an, und seine Augen schlossen sich zu schmalen
Weitere Kostenlose Bücher