0339 - Walpurgisnacht
übernehmen. Also war er sich mit Nicole einig geworden, daß sie nach Hannover flogen. Von dort aus ging es per Mietwagen via Goslar nach Bad Harzburg.
Ein paar Tage Urlaub in einer landschaftlich reizvollen und geschichtsträchtigen und sagenumwobenen Gegend konnte ohnehin nicht schaden, fand Zamorra. Die letzten Wochen waren ein wenig sehr aufreibend gewesen.
Möbius zwinkerte Nicole zu. »Das Casino liegt in der Nähe des Kurparks, und in direkter Nähe ist die Bummelallee mit einer Unmenge an 11 Textilgeschäften, die auch für Sie bestimmt noch einige modische Neuheiten bieten, Nicole«, empfahl er.
Nicole lächelte.
»Ich lasse jeden Scheck einzeln sperren«, verkündete Zamorra grimmig.
»Noch ein Tip dieser Art, Stephan, und dein Sohn erbt dein komplettes Vermögen!«
»Was ich an diesem Abend noch um ein paar Groschen zu vergrößern trachte«, schmunzelte der alte Eisenfresser. »Wie lange braucht der Junge an der Bar denn noch, um die drei Biere anzuliefern? Mir jucken schon die Finger…«
***
Irena Vahlberg brauchte für die Strecke von Clausthal-Zellerfeld bis Bad Harzburg fast fünfundvierzig Minuten. Das störte sie aber nicht; sie genoß das langsame Fahren auf der schmalen, gewundenen Straße. Von der Okertalsperre war bei Dunkelheit nicht viel zu sehen, aber die große Brücke, über die die Straße nach Altenau abzweigte, brachte sie auf eine Idee.
Die Selbstmörder-Brücke. Häufig nahmen sich hier Menschen das Leben.
An sich war die Brücke gar nicht so hoch, daß ein Sprung ins Wasser genügte, dem Leben ein Ende zu setzen. Der Aufschlag brachte niemanden um. Aber es herrschte dicht über der Wasseroberfläche ein beträchtlicher Windsog, der den springenden Selbstmörder unweigerlich gegen einen Pfeiler schleuderte – wenn er »richtig« absprang. Und die sich das Leben nehmen wollten, wußten das recht genau…
Aber es mußte durchaus nicht die Brücke sein, um hier zu sterben.
Wer hier in der Talsperre tauchte, spielte mit seinem Leben. Der Grund war bewachsen, und in den Sträuchern, die damals überflutet worden waren und noch immer existierten, hatte sich schon so mancher verfangen.
Irena entsann sich, daß erst vor ein paar Jahren ein Taucher in einem Rankenwerk hängengeblieben war. Sein Gefährte schaffte es allein nicht, ihn zu befreien, schwamm ans Ufer und alarmierte die Feuerwehr.
Die hatte es geschafft, den Mann zu befreien – wobei der Rettungstaucher selbst ein Opfer der Talsperre geworden war. Und der Gerettete war kurz darauf im Krankenhaus ebenfalls gestorben…
Geschichten dieser Art hatten Irena Vahlberg schon immer fasziniert.
Und jetzt, nach ihrem letzten Erlebnis, bekamen sie eine völlig neue Dimension.
Ein Plan begann in ihr zu reifen.
Sie war von daheim losgefahren, um den Abend zu genießen – und weil ihr eine innere Stimme sagte, daß sie Erwin Hoffach im Spielcasino finden würde. Also beschloß sie, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, und sie fuhr nach Bad Harzburg.
Sie trat das Gaspedal jetzt etwas tiefer durch. Die Okertalsperre blieb hinter dem metallicgrünen Fiesta zurück.
Hoffach!
Sie wußte nicht, wo er wohnte, sonst wäre alles viel einfacher gewesen.
Sie glaubte einmal etwas von Schulenberg gehört zu haben – also direkt bei der Talsperre –, aber sie war sich nicht vollkommen sicher.
Er sprach nie über seinen Wohnort, wenn er im Büro war. Ein Telefon besaß er in seiner Wohnung ebenfalls noch nicht, daß er auf diese Weise ausfindig gemacht werden konnte. Ein paarmal hatte er sich schon verärgert darüber geäußert, wie lange es doch in einem technisch orientierten Land wie Deutschland brauchte, einen einfachen Telefonanschluß zu bekommen.
Hoffach! Dieser geschniegelte, arrogante Karrieretyp, der aus Frankfurt gekommen war. Der jetzt hinter dem Schreibtisch saß, der eigentlich Irena gebührt hätte.
»Nicht mehr lange, Freundchen«, murmelte sie. »Nicht mehr lange…«
Über Oker und der B6 erreichte sie Bad Harzburg. Wo sie das Casino fand, wußte sie. Das Problem war nur, abends um diese Zeit einen Parkplatz in der Nähe zu bekommen. Gerade jetzt, zum 1. Mai hin, wimmelte es in der Stadt von Touristen, die alle gleichzeitig mit dem Auto zu den diversen Lokalen fahren mußten.
Irena Vahlberg störte das nicht. Sie konzentrierte sich nur auf Erwin Hoffach.
Ihren Feind.
***
Das Casino war mäßig besucht. Zamorra und Möbius wechselten Spielmarken ein und beobachteten das Geschehen an den
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