0350 - Die Rache der Großen Alten
hoffte, etwas zu erfahren, aus dem Klang Folgen schließen zu können, aber ich vernahm nichts.
Nur ein fernes Rauschen. Es war das Echo des Straßenverkehrs, der auch zur nächtlichen Stunde in Tanger nie abriß. Hin und wieder glitten Lichtpunkte durch die Schwärze, landende Flugzeuge.
Ich empfand dies als Hohn, denn wir mußten zum Flughafen, aber der lag noch verdammt weit entfernt.
Wir huschten an den Häuserfronten vorbei. Tagsüber hockten hier Menschen vor den Fassaden. Sie boten europäischen und amerikanischen Touristen allerlei Krempel an, jetzt war die Straße verlassen. Selbst kleine Stühle oder Hocker hatte man hereingeholt.
Ein Pfiff erklang!
Dünn, hoch und schrill. Wir erschraken.
Ich blieb stehen und drehte den Kopf. Leila befand sich dicht hinter mir, hatte die Stirn in Falten gelegt und versuchte, ein zerknirschtes Gesicht zu machen.
»Sind sie uns auf den Fersen?« fragte ich sie.
»Keine Ahnung.«
Sie log, das sah ich ihr an. Sie weiter zu fragen, hatte keinen Sinn.
Leila antwortete nur, wenn es ihr in den Kram paßte. Ich hatte das Gefühl, mit ihr zusammen inmitten einer großen Schlinge zu stecken, die sich allmählich zuzog und das Atmen erschwerte.
Da sich der Pfiff nicht wiederholt hatte, gingen wir weiter. Wieder versuchten wir, so geräuschlos wie möglich zu laufen, und wir hatten bereits die Kurve der Straße erreicht. Ich sah auch die dunklen Löcher, wo rechts und links zwei schmale Gassen abzweigten.
Aus diesen Löchern kamen sie.
Sie waren lautlos und schnell. Huschende Gestalten, die plötzlich die Straße versperrten und einen Wall aus Leibern bildeten. Dabei sagten sie nichts. Sie standen nur da, drohend, gefährlich, und ich sah so manchen Messerstahl funkeln.
In meiner Kehle wurde es trocken. Ich drehte für einen Moment den Kopf, blickte in Leilas Gesicht und sah, daß sie die Schultern hob. Leise klirrten ihre Haarperlen gegeneinander.
»Was wollen die?« flüsterte ich.
»Weiß ich doch nicht.«
»Verdammt, Leila, Sie müssen…«
»Sie sind auch hinter uns!« Mit diesen Worten unterbrach sie meinen Gesprächsansatz.
Ich wandte mich um und schaute auf die zweite Mauer aus Menschenleibern. Auch dort blitzte an einigen Stellen der dunkelblaue Messerstahl. In meiner Kehle wurde es eng. Ich hatte das Gefühl, mitten in der Falle zu stecken und fühlte die Kälte, die über meinen Rücken rann. Alles war eine gigantische Falle gewesen, in deren Netz wir uns verstrickt hatten und wohl aus eigener Kraft nicht wieder herauskommen konnten, dazu war die Übermacht zu groß.
»Hatte ich dir nicht gesagt, Bulle, daß wir Schwierigkeiten bekommen würden?« fragte Leila.
»Das hast du.«
»Ja, und da sind sie schon.«
Wieder hörten wir einen Pfiff, und dann setzten sich beide Parteien in Bewegung.
Es war klar, was sie vorhatten. Sie wollten uns in die Zange nehmen und töten.
»Und jetzt, Bulle, laß dir etwas einfallen!« sagte Leila, wobei sie nach links und rechts deutete. »Diesen Menschenring durchbrechen wir nie…«
Nein, den schafften wir nicht. Da hatte sie recht, auch wenn ich es nicht gern zugeben wollte. Ich wußte nicht, welche Chancen uns noch blieben. Nach vorn konnten wir nicht, zur anderen Seite ebenfalls nicht, blieb uns eigentlich nur die Möglichkeit, uns in einem der Häuser zu verstecken.
Dabei war ich Realist genug, um dies nur als Aufschub zu sehen.
Zudem drängte mich Leila.
»Tu etwas, Sinclair!«
Ich deutete über meine Schulter. »Sehen Sie die Tür hinter mir?«
»Klar.«
»Dann laufen wir da ins Haus.«
Sie schaute mich mit einem spöttischen Blick an, der mir sagte, daß sie nicht überzeugt war. Bisher hatte keiner der uns eingekreisten Männer etwas gesagt. Genau in dem Augenblick, als wir uns in Bewegung setzten, hörte ich ein Wort.
»Mörderin!«
Der Sprecher hatte sich der französischen Sprache bedient, die auch ich verstand, und ich zuckte für einen Moment zusammen.
Mörderin, nicht Mörder hatte der Mann gerufen! Demnach hatte er Leila damit gemeint.
Ich starrte sie an, denn auch sie mußte das Wort verstanden haben.
»Was ist?« fragte sie lauernd. »Habe ich etwas an mir?«
»Nein, äußerlich nicht. Ich wundere mich nur, daß man Sie als Mörderin bezeichnet hat.«
»Das ist nun mal so.«
»Haben Sie hier jemanden umgebracht?«
Ihre großen Augen verengten sich. »Ich glaube, Sinclair, daß wir hier andere Probleme haben. Zudem könnte ich Sie auch als Mörder bezeichnen, denken Sie nur an
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