037 - Die seltsame Gräfin
erwiderte er entschieden. »Miss Reddle, ich habe Ihnen so manchen Dienst erwiesen, ich würde es gern sehen, wenn Sie auch einmal etwas für mich täten.« Er schien um Worte verlegen zu sein. »Ich habe ein persönliches Interesse daran. Ich vermute zwar, daß Sie mich nicht leiden können - aber immerhin, ich habe Sie gern.«
»Danke schön«, entgegnete sie kurz.
»Sie können ruhig sarkastisch sein - ich kümmere mich nicht darum. Ich sage Ihnen einfach die nackte Wahrheit. Ich verehre Sie, wie nur irgendein anständiger Mann ein Mädchen von Ihrem Charakter und Ihrer -«
»Schönheit«, ergänzte Lizzy, die interessiert zuhörte.
»Anmut - das ist das richtige Wort«, sagte Dorn und lächelte schwach.
»Und gerade weil ich mich persönlich so für Sie interessiere und Sie gern habe - ich fühle, daß meine Ausdrücke nicht richtig sind und meine Worte Sie nicht überzeugen, aber ich bin Damen gegenüber immer verlegen -, jedenfalls will ich, daß Sie in die Charlotte Street zurückgehen.«
Lois schüttelte den Kopf.
»Wohin ich gehe, kann Ihnen sehr gleichgültig sein!«
»Ich habe das größte Interesse daran, daß Sie in Ihre Wohnung in die Charlotte Street zurückkehren!« »Obwohl oder gerade weil Sie es gesagt haben, werde ich diese Nacht im Haus der Lady Moron bleiben. Morgen werden Miss Smith und ich wieder in die Charlotte Street gehen.«
»Sie gehen heute abend noch zurück!« sagte er fast schroff.
Sie reckte sich empört auf.
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie kühl.
»Ich meine genau das, was ich eben gesagt habe. Ich will nicht, daß Sie noch eine Nacht in diesem schrecklichen Haus zubringen. Lassen Sie sich doch davon überzeugen, Miss Reddle«, fuhr er sanfter fort. »Sie müssen sich nicht einbilden, daß es eine Laune von mir wäre oder daß ich irgendein ungerechtes Vorurteil gegen Lady Moron oder ihren Sohn hätte. Ich bitte Sie nur, heute abend nicht zum Chester Square zu gehen.«
»Können Sie mir irgendeinen Grund dafür angeben?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie müssen mir vertrauen und glauben, daß ich sehr triftige Gründe habe, wenn ich sie Ihnen im Augenblick auch nicht sagen kann. Sehen Sie denn das nicht selbst ein?«
»Nein«, erwiderte sie. »Es sind mehrere Unglücksfälle vorgekommen - meinen Sie etwa, daß Lady Moron daran schuld ist?«
»Ich meine gar nichts.«
»Dann gute Nacht.« Sie wollte weitergehen, aber er vertrat ihr den Weg. Er mußte der dunklen Gestalt im Hintergrund ein Zeichen gegeben haben, denn plötzlich kam der große Mann auf sie zu.
»Dies ist Sergeant Lighton von der Kriminalpolizei«, sagte er kurz. Dann zeigte er auf das Mädchen. »Dies ist Lois Reddle - ich beschuldige sie des versuchten Mordes an John Braime!«
Das Mädchen hörte die Worte und war wie vom Donner getroffen.
»Wessen beschuldigen Sie mich?« fragte sie erschrocken. »Aber Mr. Dorn -«
Der Detektiv winkte stumm, und der große Mann nahm Lois höflich am Arm. Eine halbe Stunde nachdem sich das Gefängnistor vor Mrs. Pinder geöffnet hatte, schloß sich die Tür einer Polizeizelle hinter ihrer Tochter.
20
»Das wäre also erledigt«, sagte Michael traurig, als er die Polizeistation mit dem Sergeanten wieder verließ. »Ich fasse jetzt einen richtigen Dieb, Lighton, wenn meine Schlußfolgerungen richtig sind. Ich ließ mir einen Brief vom Justizministerium schicken, der heute nachmittag an meine Adresse aufgegeben wurde.«
»Glauben Sie, daß man Ihren Briefkasten beraubt?« fragte Lighton.
Der Detektiv antwortete erst, als sie in einem Auto saßen.
»Wir wollen nicht Briefdiebstahl, sondern Briefverzögerung sagen. Ich kam nämlich dahinter, daß alle Briefe meines Nachrichtenagenten und meines Freundes bei der Regierung stets ohne jeden Grund mit Verspätung ankamen. Ich beschäftigte mich mit der Sache und merkte, daß ich von beiden Stellen Briefe in blauen Umschlägen erhielt.«
»Wie geht es Braime?« fragte der Sergeant.
»Besser«, war die kurze Antwort. »Ich habe ihn heute abend gesprochen - das wird er sein Leben lang nicht vergessen.« Er lachte leise vor sich hin, obwohl sein Herz schmerzte, als er an das bestürzte und empörte Mädchen dachte, das zu dieser Stunde in der großen und luftigen Frauenzelle einer Polizeistation saß.
Der Wagen hielt vor den Hiles Mansions, und der Fahrstuhlführer brachte sie zu Dorns hübscher Wohnung. Zwei oder drei Briefe lagen in seinem Briefkasten. Er nahm sie heraus, prüfte sie, ging dann wieder auf
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