0372 - Werwolf-Omen
verschwand die Leiche unter dem Lehm.
»Das war’s dann wohl«, sagte ich.
Ihr Arm mit dem Spaten sank nach unten. Das Blatt stemmte sie in den Boden. »Ja, das war’s«, flüsterte sie heiser.
»Fühlen Sie sich jetzt besser?« fragte ich sie.
»Scher dich zum Teufel, Hundesohn!« zischte sie mir voller Haß entgegen. »Geh weg!«
»Nein, ich bleibe, und Sie werden mir Rede und Antwort stehen.«
Mit dem Spaten als Waffe hatte sie mir bereits gedroht. Jetzt wollte sie ihn gegen mich einsetzen. Blitzschnell wuchtete sie das Werkzeug hoch.
Ich drehte ab, das Blatt verfehlte mich. Sie kam ins Stolpern, huschte an mir vorbei, und mir gelang es, sie von hinten zu umschlingen. Eng an mich gepreßt, hielt sie sich fest. Auch ihren Armen ließ ich keinen Spielraum.
»Lassen Sie dieses verdammte Ding endlich fallen!« befahl ich mit rauher Stimme. »Sie kommen gegen mich nicht an, zum Henker!«
Aus dem Mund der Frau drangen Laute, die mich schon an die eines Werwolfs erinnerten. Sie drehte sich, wollte meinen Griff sprengen, schaffte es aber nicht.
Dann gab sie auf, erschlaffte in meinen Armen und schleuderte den Spaten zur Seite. Ich ließ sie los, faßte sie aber im nächsten Augenblick an der Schulter und drehte sie um.
Schweißnaß war ihr Gesicht. Sie mußte mit den schmutzigen Händen über ihre Haut gefahren sein, denn ich sah in ihrem Gesicht die dunklen Streifen.
»Was willst du noch?« schrie sie. »Fragen beantwortet haben!«
»Ich weiß nichts, verdammt!«
»Gehen wir ins Haus!« Sie trat mit dem rechten Fuß auf. »Nein, ich…« Mein Stoß katapultierte sie vor. Alexis sah ein, daß sie den kürzeren gezogen hatte. Diesmal ging sie tatsächlich, hielt den Kopf gesenkt und ging wie eine Betrunkene zur Haustür.
Wenig später befanden wir uns wieder in der Küche. Der Tisch warwieder korrekt hingestellt worden. Ich drückte Alexis auf einen Stuhl und nahm selbst auf der Tischkante Platz.
»Wo sind die anderen vier?«
»Welche?«
»Nehmen Sie mich hier nicht auf den Arm«, erwiderte ich scharf.
»Sie wissen genau, daß ich von Ihrem verdammten Familienclan rede. Von Ihrem Mann und seinen drei Brüdern.«
»Sie sind weg.«
»Das habe ich gesehen. Und wohin?«
Bisher hatte sie mich nur starr angeschaut. Plötzlich trat Leben in ihre Augen und auch in ihr Gesicht. Die Lippen verzogen sich zu einem wissenden und gleichzeitig kalten Lächeln. Sie hob den linken Arm, reinigte den Glasdeckel der Uhr von einer Schmutzschicht, schaute auf das Zifferblatt und nickte. »Ja«, sagte sie dabei.
»Eigentlich müßten sie jetzt soweit sein. Genau in diesem Augenblick.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie haben ihr Ziel erreicht.«
»Und wo liegt das?«
»Nicht weit von hier, Sinclair. Man kann zu Fuß hingehen. Der Plan ist genial, sogar super. Das hat bisher keiner geschafft, obwohl viele davon sicherlich geträumt haben.«
»Sind Sie nach London…?«
Sie lachte mich aus. »Würden Sie von hier zu Fuß nach London gehen, Sinclair? Nein, London ist es nicht. Ich sagte doch, es liegt ganz in der Nähe.«
»Wo denn genau?« Ich beugte mich vor und gab meiner Stimme mehr Power. »Reden Sie, verdammt!«
»Es ist keine Stadt und auch kein Dorf.« Genüßlich lehnte sich die Frau zurück und grinste noch breiter. »Ich will es Ihnen sagen, da Sie nicht mehr viel ändern können. Etwa eine Meile von hier in nordwestlicher Richtung führt eine Bahntrasse durch das Gelände. Die Strecke ist so gut wie stillgelegt. Sie wird nur hin und wieder für Sonderfahrten benutzt. Diese Fahrten sind geheim. Manchmal wird Geld transportiert, manchmal auch nukleares Material oder auch Menschen…«
Ich hatte begriffen. »Und was wird in dieser Nacht transportiert?« fragte ich.
»Menschen.«
»Wichtige Persönlichkeiten?«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte sie lachend. »Sehr wichtige Persönlichkeiten, die sich aufgrund der politischen Entwicklung im Osten zu einem geheimen Treffen gezwungen sahen. Es befinden sich zwei Botschafter im Zug, der englische und der Vertreter der Sowjetunion. Was meinen Sie, Sinclair, was passiert, wenn die Werwölfe den Zug stoppen und die beiden Typen in ihre Gewalt bekommen…?«
Bei dieser Frage wurde ich totenbleich…
Nach einer Weile des Schweigens hörte ich ihr Lachen. Ja, sie lachte mich aus.
»Damit hast du wohl nicht gerechnet, Geisterjäger, wie?«
Durch die Nase holte ich Luft. Ich war nicht fähig, eine Antwort zu geben, denn die Folgen dieser Tat konnten
Weitere Kostenlose Bücher