0396 - Leonardos Zauberbuch
Wimmern einer verlorenen Seele verhallte in den Tiefen einer unauslotbaren Ewigkeit.
Und die Kerzenflammen sprangen wieder auf…
***
Gambino sah, wie der Priester die Hände mit dem Dolch senkte. Er machte eine rasche Kopfbewegung. Giorgio Gambino schob sich nach vorn, neben ihn. Er erschauerte, als er daran dachte, daß nur Sekunden vorher der Dämon ganz nah gewesen war.
»Führe es zum Ende«, raunte der Priester ihm zu.
Gambino sah im flackernden Kerzenschein, daß der Priester totenbleich war. Seine Lider flackerten, und Schweiß rann ihm über das Gesicht.
Gambino übernahm die Leitung der Zeremonie. Er wandte sich zur Seite. Auf dem steinernen Pult lag das große Buch, nach dem die Beschwörung durchgeführt worden war. Er kannte die Zeremonie, er konnte sie zu Ende führen. Er sah, wie der Priester sich langsam in die hintere Reihe der Anwesenden zurückzog.
Die Gesänge und die gemurmelten Formeln verhallten.
Später wußte Gambino nicht, wie er es fertiggebracht hatte, das Ritual ausklingen zu lassen, ohne furchterfüllt zum leeren Altar zu blicken oder dorthin, wo der Schatten des Dämons sein Opfer geschlagen hatte. Aber dann… endlich… war es vorbei.
Auch Gambino zitterte jetzt. Seine Knie waren weich, und er brauchte seine ganze Konzentration, um sich auf den Beinen zu halten, das riesige schwere Buch zu schließen und es aus dem Zeremonienraum zu bringen.
Der Kreis löste sich auf. Der Doppelkreis aus Menschen, der den Altar bisher eingeschlossen hatte.
Schweigend verließen sie den Raum. Schweigend entledigten sie sich der Kutten, und immer noch sprach keiner ein Wort, als sie sich wieder in ihre normale Kleidung hüllten und einer nach dem anderen die unterirdischen Räume verließen. Sie verschwanden in der Nacht, einsame Gestalten, die von der Dunkelheit verschluckt wurden. In Abständen von wenigen Minuten brummten Automotoren auf. Schwere Limousinen oder röhrende Supersportwagen entfernten sich. Erst nach langer Zeit flammten die Scheinwerfer der Fahrzeuge auf, als nichts mehr verraten konnte, woher sie gekommen waren.
Ruhe legte sich über die unterirdischen Räume, über denen zur Tarnung eine Lagerhalle stand.
Nur drei Menschen waren unten zurückgeblieben. Der Priester, Gambino und - der Tote…
***
Auch Gambino und Ettore Terzotti hatten wieder ihre Alltagskleidung angelegt. Als sie jetzt wieder den Zeremonienraum betraten, flammte auf Schalterdruck elektrisches Licht auf und erhellte mit seinem kalten Neonleuchten den Raum fast schattenlos. Im Neonlicht sah Terzottis Gesicht noch bleicher aus. Der Ablauf des Rituals hatte dem Priester zu schaffen gemacht.
Er hatte bis zu dieser Stunde noch kein Wort darüber verloren, aber Gambino konnte ihm nachfühlen, wie es ihm ergangen war, als er da direkt vor den Klauen des Dämons stand.
Da war der Altar aus schwarzem Marmor, dieser schwere, massive Block… Auf der blankpolierten Platte war kein einziger Tropfen Blut des Opfers mehr zu sehen. Aber ein matter Schattenriß befand sich dort. Die Umrisse des Wesens, das hier vergangen war. Es hatte unter einem dunklen Tuch gelegen. Niemand hatte gesehen, um wen oder was es sich handelte. Gambino hoffte, daß es stimmte, was Terzotti gemurmelt hatte: daß es sich um ein Tier handele, um einen Menschenaffen, der unter großen Schwierigkeiten hierher gebracht und betäubt gehalten worden war. Selbst Gambino, der zweite Mann der Sekte, wußte nicht, wer dieses Tier beschafft hatte. Die Koordination war Terzottis Sache. Er hütete seine Geheimnisse, wie jeder in der Sekte es auf seine Weise tat. Terzotti leitete sie als Diktator. Was er anordnete, wurde ausgeführt, Fragen stellte niemand. Dafür hatten sie alle teil an dem, was die Höllenmacht der Sekte gewährte.
Macht und Einfluß…
Gambino preßte die Lippen zusammen. Er hatte von Anfang an gewußt, daß das, was sich hier abspielte, nur zu einem geringen Teil Show war. Der Dämon war keine Halluzination gewesen, kein Gespinst aus Drogenträumen, denn Drogen waren nicht verabreicht worden. Das Opfer… war es wirklich nur ein Tier gewesen, oder war hier auf dem Marmoraltar ein Mensch förmlich vernichtet worden?
Ein kalter Schauer rann Gambino über den Rücken. Er sah, daß nicht nur ein Schatten zurückgeblieben war, sondern daß sich haarfeine Risse durch den Marmor zogen. Leicht berührte er den Altarstein. Im gleichen Moment bröckelte ein Teil des Marmors ab.
»He, paß auf!« stieß Terzotti hervor. »Was machst du
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