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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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geübten Hand auf sehr gutes Papier geschrieben und in das große Totem dessen, der ihn diktiert hatte, gehüllt. Dieses Totem bestand aus papierdünnem Antilopenleder, welches durch eine Behandlung, die nur die Indsmen kennen, die Weiße des Schnees und die Glätte des Porzellans erhalten hatte. Die einpunktierten Charaktere waren mit Zinnober und einer andern, mir unbekannten Farbe rot und blau gefärbt. Der Inhalt lautete:
    „Mein weißer, älterer Bruder!
    Ich fragte Gott nach Dir. Ich wollte wissen, ob Du noch unter denen weilst, von denen man sagt, daß sie leben. Die Antwort kam durch die Benachrichtigung, daß man Dich eingeladen habe, an den Septemberberatungen hier in meinen Bergen, deren heilige Stille und Ruhe für immer vernichtet werden soll, teilzunehmen. Sei um aller derer willen, die Du einst hier liebtest und vielleicht noch heute liebst, gebeten, diesem Ruf Folge zu leisten. Eile herbei, wo Du auch seist, und rette Deinen Winnetou! Man will ihn falsch verstehen, und man will auch mich nicht begreifen. Du hast weder mich, noch habe ich Dich jemals gesehen. Wie ich nie einen Laut Deiner Stimme vernahm, so hörtest auch Du niemals den Klang der meinigen. Heut aber schreit meine Angst weit über das Meer hinüber zu Dir, so laut, daß Du es hören wirst und unbedingt kommen mußt.
    Niemand weiß, daß ich Dich rufe. Nur der dies schreibt, mußte es erfahren. Er ist meine Hand; er schweigt. Wende Dich, bevor Du hier erscheinst, nach dem Nugget-tsil. Die mittelste der fünf großen Blaufichten wird zu Dir sprechen und Dir sagen, was ich diesem Papier nicht anvertrauen kann. Ihre Stimme sei Dir wie die Stimme Manitous, des großen, ewigen und alliebenden Geistes! Ich bitte Dich noch einmal: Komm, o komm, und rette Deinen Winnetou. Man will ihn Dir erwürgen und erschlagen!
    Tatellah-Satah,
    der Bewahrer der großen Medizin.“
    Was den in diesem Brief erwähnten Nugget-tsil betrifft, so versteht man unter Nuggets die mehr oder weniger großen, gediegenen Goldkörner, welche von den Goldsuchern entweder einzeln, zuweilen aber auch in ganzen, reichhaltigen Nestern gefunden werden. Tsil bedeutet in der Apatschensprache soviel wie Berg. Nugget-tsil heißt also soviel wie ‚Goldkörnerberg‘. Auf diesem Berg sind bekanntlich der Vater und die Schwester meines Winnetou von einem gewissen Santer ermordet worden. Später, kurz vor dem Tod Winnetous, den er im Innern des Hancockberges fand, teilte er mir mit, daß er sein Testament für mich auf dem Nugget-tsil vergraben habe, und zwar zu Füßen seines dort bestatteten Vaters; ich werde da viel Gold zu sehen bekommen, sehr viel Gold. Als ich hierauf nach dem Nugget-tsil ritt, um das Testament zu holen, wurde ich dabei von diesem Santer überrascht und von einer Schar von Kiowa-Indianern, bei denen er sich befand, gefangengenommen. Der Anführer dieser Schar war der damals noch jugendliche Pida, der mich jetzt, nach über dreißig Jahren, in dem Brief seines Vaters, des ältesten Häuptlings Tangua, aus seiner ‚Seele‘ grüßte. Santer stahl das Testament und entfloh mit ihm, um das Gold zu holen, dessen Fundstelle in der letztwilligen Verfügung Winnetous beschrieben war. Ich machte mich von den Kiowas frei und eilte ihm nach. Ich kam an Ort und Stelle an, als er den Schatz soeben gefunden hatte. Das Versteck lag auf einem hohen Felsen am Ufer des einsamen Bergsees, den man ‚Das dunkle Wasser‘ zu nennen pflegt. Als er mich sah, schoß er auf mich. Was dann geschah, das ist im letzten Kapitel von ‚Winnetou‘, Band III, zu lesen.
    Und in Beziehung auf Tatellah-Satah, den ‚Bewahrer der großen Medizin‘, mußte ich gestehen, daß es stets einer meiner Herzenswünsche gewesen war, diesen geheimnisvollsten aller roten Männer einmal zu sehen und zu sprechen; nie aber hatte eine Gelegenheit bereitgestanden, mir dieses wirklich herzliche Verlangen zu erfüllen. Tatellah-Satah ist ein Name, welcher der Taossprache angehört und wörtlich übersetzt ‚Tausend Sonnen‘ heißt, in seiner Anwendung aber ‚Tausend Jahre‘, bedeutet. Der Träger desselben hatte also ein so ungewöhnliches, ja außerordentliches Alter, daß man die Höhe des letzteren unmöglich bestimmen konnte. Ganz ebensowenig wußte man, wo er geboren worden war. Er gehörte keinem einzelnen Stamm an. Er wurde von allen roten Völkern und Nationen gleich hoch verehrt. Was Hunderte und Aberhunderte von einzelnen Medizinmännern im Laufe der Zeit an Geistesgaben und Kenntnissen besessen

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