04 - Winnetou IV
einzige Kugel, die ich noch habe, sehnt sich nach Dir!
Tangua, ältester Häuptling der Kiowas. Geschrieben von Pida, seinem Sohn, dem jetzigen Häuptling der Kiowas, dessen Seele die Deinige grüßt.“
Diese beiden Briefe waren im höchsten Grad interessant, und zwar nicht nur psychologisch. Fast schien es, als ob sie von To-kei-chun und Tangua an dem gleichen Ort und unter dem gleichen Einfluß diktiert worden seien. Beide haßten mich noch genauso unversöhnlich wie ehedem. Ganz eigenartig war es, daß der Sohn des letzteren mich trotz dieses Hasses grüßte, doch fiel es mir nicht schwer, diese Dankbarkeit zu verstehen. Aber wichtiger, viel wichtiger als das alles war, daß auch die Feinde der Apatschen hinauf auf den Mount Winnetou wollten. Es wurde da von einem ‚großen, letzten Kampf‘ gesprochen. Das klang außerordentlich gefährlich. Ich begann, besorgt zu werden, ernstlich besorgt! Oder gab es da drüben jemand, etwa einen alten, früheren Gegner, der sich jetzt, in meinen alten Tagen, den Spaß machen wollte, mich zu foppen und zu einer Einfaltsreise nach Amerika zu bewegen? Aber nach der Hälfte eines Monats erhielt ich folgenden Brief, der in Oklahoma aufgegeben war und für mich ein Dokument bildete, dem ich vollsten Glauben zu schenken hatte:
„Mein lieber, weißer Bruder!
Der große, gute Manitou in meinem Herzen gebietet mir, Dir zu sagen, daß ein Bund der alten Häuptlinge und ein Bund der jungen Häuptlinge nach dem Mount Winnetou berufen ist, um über die Bleichgesichter zu Gericht zu sitzen und über die Zukunft der roten Männer zu entscheiden. Du wirst kommen, und ich werde kommen. Meine Seele freut sich auf die Deinige. Ich zähle die Tage, Stunden und Minuten, bis ich Dich sehen werde!
Dein roter Bruder Schahko Matto, Häuptling der Osagen.“
Auch dieser Brief war englisch geschrieben, und zwar von seinem Sohn, dessen Handschrift ich kannte, weil ich im Briefwechsel mit ihm stehe. Zudem hatte Schahko Matto sein ledernes Totem beigelegt, was er immer tat, wenn es sich um etwas Wichtiges handelte. Ich konnte also die Vermutung einer Fopperei fallenlassen. Die Sache war Wirklichkeit, war Ernst. Der Gedanke, hinüberzugehen, begann mich lebhaft zu beschäftigen. Freilich aber war es, um diesen Gedanken zum Entschluß zu bringen, nötig, vorher erst noch Näheres und Bestimmteres zu erfahren. Und das ließ nicht lange auf sich warten. Ich erhielt einen großbogigen, wie amtlich zusammengelegten Schreibebrief, welcher den Zweck hatte, eine Einladung zu sein, aber seines Tones wegen war er schon richtiger als eine ‚ Zufertigung ‘ zu bezeichnen. Ich gebe ihn in deutscher Übersetzung, die Überschrift abgerechnet:
„Dear Sir,
In den vorjährigen Versammlungen der Häuptlinge wurde einmütig beschlossen, den hierzu geeignetsten Berg des Felsengebirges forthin mit dem Namen Winnetous, des berühmtesten Häuptlings aller Nationen, zu bezeichnen. Es wurde hierzu die höchstwahrscheinlich auch Ihnen wenigstens geographisch bekannte Kulmination gewählt, auf welche der geheimnisvolle Medizinmann Tatellah-Satah (Thousand -years ) sich zurückgezogen hat. Am Fuß resp. auf den Stufen dieses Berges sollen um die Mitte des heurigen September folgende Versammlungen abgehalten werden:
1. Das Campmeeting der alten Häuptlinge.
2. Das Campmeeting der jungen Häuptlinge.
3. Das Campmeeting der Häuptlingsfrauen.
4. Das Campmeeting aller außerdem berühmten roten Männer und roten Frauen.
5. Das Schlußmeeting unter der Leitung des hier unterzeichneten Komitees.
Es wird in Ihr Belieben gestellt, sich hierzu persönlich einzufinden und bei dem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter zu melden, wobei Ihnen der Gegenstand aller dieser Beratungen bekanntgegeben wird. Zugleich werden Sie darauf aufmerksam gemacht, daß diese Meetings, ebenso wie sämtliche Vorbereitungen zu ihnen, vor den Angehörigen anderer Rassen vollständig geheimzuhalten sind. Wir verpflichten Sie hiermit zur strengsten Diskretion und fühlen uns berechtigt, anzunehmen, daß wir Ihre ehrenwörtliche Versicherung, zu schweigen, bereits bekommen haben. Nummernmarken für die bei unsern Zusammenkünften Ihnen anzuweisenden Plätze haben Sie sich bei dem unterzeichneten Schriftführer persönlich abzuholen. Sämtliche Reden zum Beratungsgegenstand sind des besseren Verständnisses wegen in englischer Sprache zu halten.
Hochachtungsvoll
Das Komitee.
Gezeichnet:
Simon Bell (Tscho-lo-let),
Professor der Philosophie, als
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