04 - Wohin die Zeit uns treibt
ein Messer in einem dunklen Gang, sondern an einem Herzanfall. Charlies Körper hatte sich ganz einfach entschieden, dass seine Zeit abgelaufen war.
Also saß Terence O'Hara in einer kleinen Kneipe an der mexikanischen Küste und hielt seinen eigenen Körper wach.
Die Beerdigung war in vierzehn Stunden in Chicago. Weil er nicht bereit war, den Rio Grande zu überqueren, wollte Terence in Mexiko auf seinen alten Freund trinken und übers Leben nachdenken.
Charlie würde es verstehen, entschied Terence, während er seine langen Beine in den
schmuddeligen Kakihosen ausstreckte. Charlie war nie für Förmlichkeiten gewesen. Einfach den Job tun, einen Drink nehmen und mit dem nächsten weitermachen.
Terence zog eine zerdrückte Packung Zigaretten hervor und suchte in der Tasche seines
schmutzigen Hemdes nach Streichhölzern. Seine Hände waren lang, mit breiten Handflächen. Mit zehn hatte er davon geträumt, Konzertpianist zu werden.
Aber er hatte von vielem geträumt, was er werden wollte. Ein zerdrückter Strohhut beschattete sein Gesicht, als er das Streichholz anriss und ans Ende der Zigarette führte.
Er war sehr braun. Sein dunkelblondes Haar war dick, weil es ihm zu lästig war, es zurechtstutzen zu lassen, und es war lang genug, dass es sich unter dem Hut wild lockte. Sein Gesicht war feucht von der Hitze und schmal. Links am Kinn zeigte sich eine Narbe, klein und weiß - Begegnung mit einer abgeschlagenen Flasche. Seine Nase war seit seinem sechzehnten Lebensjahr ganz leicht schief.
Ein Kampf um den guten Ruf eines Mädchens oder dessen Fehlen.
Sein Körper war im Moment fast dünn, verursacht durch einen
ausgedehnten Krankenhausaufenthalt. Die letzte Kugel, die ihn erwischt hatte, hätte ihn fast umgebracht. Selbst ohne den Whisky und die Trauer wirkte er gefährlich. Kantig mit stechendem Blick -
selbst jetzt, wo er privat im Urlaub war.
Seit drei Tagen hatte er sich nicht rasiert, und sein Bart war rau genug, um seinem Mund einen groben Zug zu geben. Der Kellner war froh, ihn mit seiner Flasche und seiner Einsamkeit allein zu lassen.
Als die Dämmerung fiel, wurde der Himmel ruhiger und die Cantina lärmender. Aus dem Radio dröhnte mexikanische Musik, gelegentlich von rauschenden Funkstörungen unterbrochen. Irgendjemand zerbrach ein Glas. Zwei Männer debattierten hitzig übers Fischen, über Politik und Frauen. Terence goss sich noch ein Glas ein.
Er sah sie in dem Augenblick, als sie eintrat. Nach alter Gewohnheit behielt er die Tür im Auge und registrierte sofort Einzelheiten, obwohl er scheinbar überhaupt nicht hinsah. Eine Touristin, die die falsche Richtung eingeschlagen hat, dachte er.
Elfenbeinfarbene Haut mit einigen kleinen Sommersprossen, dazu rotes Haar. Nach einer Stunde unter der Yucatán-Sonne würde sie krebsrot verbrannt sein. Ein Jammer, dachte er und wandte sich wieder seinem Drink zu.
Er erwartete, dass sie im selben Moment verschwand, in dem sie erkannte, in welche Kaschemme sie geraten war. Stattdessen ging sie zur Bar. Terence legte die ausgestreckten Beine übereinander und vertrieb sich die Zeit, indem er sie musterte.
Ihre weiße Hose war fleckenlos, trotz der staubigen Hitze des Tages. Sie trug dazu ein dunkelrotes Hemd, das lose genug war, um kühl zu sein. Sie war schlank, doch mit genügend Kurven, um der weiten Hose Stil zu geben. Ihr Haar, fast in der Farbe der untergehenden Sonne, war in einem Zopf zurückgehalten. Ihr Gesicht sah er nur im Profil. Klassisch, entschied er ohne großes Interesse. Kameen-Ele- ganz. Champagner-Kaviar-Typ.
Er kippte den Rest seines Drinks hinunter und entschloss sich, sehr betrunken zu werden - um Charlies willen.
Er hatte gerade wieder die Flasche gehoben, als sich die Frau umdrehte und ihn direkt ansah. Unter dem Schatten seines Hutes begegnete Terence ihrem Blick. Als sie den Raum durchquerte und auf ihn zukam, goss er sich seinen Whisky ein.
„Mr. O'Hara?"
Über den Akzent zog er leicht eine Braue hoch.
Eine Spur von Irland, dieselbe Spur, die bei seinem Vater bei Wut oder Freude durchkam. Terence trank seinen Whisky und sagte nichts.
„Sie sind Terence O'Hara?"
Es war auch eine Spur von Selbstbeherrschung in ihrer Stimme, stellte er fest. Und aus der Nähe konnte er Schatten unter außerordentlich grünen Augen sehen. Ihre Lippen waren
zusammengepresst. Die Finger lagen fest um den Riemen eines Segeltuchbeutels, der ihr über der Schulter hing.
„Möglich. Warum?"
„Mir wurde gesagt, Sie seien in Merida.
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