0418 - Zwei Orchideen für eine Tote
Wasser gegen die Bodenwanne des Jaguar klatschen. Ich starrte durch die Windschutzscheibe auf den Regenvorhang, der wie ein grauer Schleier vor mir aufriß und von der stromlinienförmigen Schnauze des Jaguar geteilt wurde.
Phil hatte sich den Hörer des Sprechfunkgeräts ans Ohr geklemmt. Er sprach mit der Zentrale, berichtete, was gewesen war, daß wir eine Schlappe erlitten hatten, gab durch, daß wir uns jetzt auf dem Weg zur Washington Street in Brooklyn befanden, um festzustellen, ob die Adresse stimmte, ob Vincent Hammer dort jemals gewohnt hatte.
Ich benutzte die Brooklyn Bridge. Unter uns floß der vom Regen millionenfach gesprenkelte East River. Auf seinen grauen Fluten lagen Schleppkähne und zwei Boote der Wasserschutzpolizei. Irgendwo röhrte ein Nebelhorn, denn die Sicht war schlecht.
Wir erreichten die Washington Street. Es ist eine Wohnstraße, ohne Geschäfte, ohne Hotels, ohne Kneipen. Villengrundstücke reihen sich zu beiden Seiten der breiten Fahrbahn aneinander, die grünen Gärten sind überladen wie Gewächshäuser, hohe Mauern versperren den Blick. Parallel zur Washington Street verläuft eine mächtige Grünanlage: der Park Cadman Plaza.
Nummer 100 war das bescheidenste Grundstück der Straße, aber immer noch großartig genug, um einen mittleren Gehaltsempfänger zu beeindrucken.
Hinter grünen Büschen lag das Gebäude: zweistöckig, im Stil eines englischen Landhauses, sicherlich in den dreißiger Jahren erbaut.
Wir ließen den Jaguar auf der Straße stehen. Wir gingen durch den Regen. Die Einfahrt stand offen, mündete mit schmalem Asphaltband vor einer kleinen Garage.
Ein Kiesweg führte zur Haustür. Hinter dicht verhangenen Fenstern brannte Licht.
Die Haustür trug ein kleines Vordach.
Wir blieben stehen. Im Schein der Stablampe, die ich dem Hausmeister noch nicht zurückgegeben hatte, suchten wir den Klingelknopf.
»Kaum anzunehmen, daß hier ein Raubmörder wohnt«, sagte Phil. »Wenn man hier ein und aus gehen darf, verkriecht man sich nicht in einem Holzkäfig in der Bleeker Street«
Wir hörten das Klingeln hinter der Eingangstür. Es war melodisch und zart. Klang irgendwie vornehm.
Wir mußten ein Weilchen warten, bis sich im Flur Schritte näherten. Licht wurde eingeschaltet. Gleichzeitig flammte eine Lampe über unseren Köpfen auf.
Durch das matte, bräunlich gefärbte Glas der Tür sahen wir eine große männliche Gestalt im dunklen Anzug.
Ein Schlüssel knirschte im Yale-Schloß. Dann schwang die Tür auf.
Vor uns stand ein schmaler, knochiger Mann. Sein Maßanzug war von einem guten Schneider. Ich blickte in mattgrüne, forschende Augen. Das Gesicht war straff, aber auf der breiten, gewölbten Stirn gruben sich tiefe Querfalten ein. Das ließ den Mann älter erscheinen, als er war. Ich schätzte ihn auf Mitte Vierzig.
»Guten Abend«, sagte Phil und streckte die Hand aus. Sie hielt den blau-goldenen FBI-Stern, der im Lampenlicht schimmerte. »FBI. Falls Sie der Besitzer dieses Hauses sind, haben wir einige Fragen an Sie.«
»FBI?« Es klang verwundert. Dann trat der Mann zur Seite. »Bitte, kommen Sie ‘rem.«
Wir traten über die Schwelle und nahmen die Hüte ab. Der Regen tropfte von unseren Mänteln, aber der Mann forderte uns nicht auf, sie abzulegen. Sein knochiges Gesicht verriet keine Regung. Nur die Augen waren etwas schmaler geworden. Er ging vor uns her auf eine angelehnte Tür zu, stieß sie auf, ließ uns eintreten.
Es war ein gemütliches Kaminzimmer mit hellen Möbeln. Auf einer weinroten Ledercouch saß eine etwa fünfzigjährige Frau. Sie gehörte mit Sicherheit zu den drei häßlichsten Frauen, die ich jemals gesehen habe.
Das rotgraue Haar war so dünn, daß an vielen Stellen die Kopfhaut durcnschimmerte; das farblose Gesicht sehr breit, aber dabei flach. Auf der breiten, aufgestülpten Nase ruhte eine blonde Brille. Ich sah den kleinen, gehässigen Mund, das kurze aber energische Kinn und den recht beträchtlichen Frauenbart auf der Oberlippe und an den Mundwinkeln. Die eckige Figur, an der sich eine weibliche Rundung nicht mal ahnen ließ, steckte’ in einem kostbaren, lackschwarzen, mit bunten Stickereien versehenen japanischen Hausanzug.
»Margret«, sagte der Mann, »diese Herren sind vom FBI. Ich weiß nicht, was sie wollen.«
Ich nickte der Frau artig zu. Phil tat es mir nach. Die Frau bewegte sich nicht. Ihr kalter, unfreundlicher Blick war starr auf uns gerichtet.
»Es tut uns leid, daß wir Sie belästigen müssen«,
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