0469 - Der brennende Inka
verführen. Überhaupt hatte Tendyke den Eindruck, daß sie die Begriffe »Expedition« und »Exhibition« miteinander verwechselte. Immerhin - Kleidung, die man nicht trug, konnte bei dem vorherrschenden Klima nicht verschwitzen. Ihre freizügige Art, sich im Bikini oder auch lediglich in Shorts zu bewegen, hatte spätestens in jenem Moment zum offenen Streit mit Lucille Carpenter geführt, als deren Göttergatte nur noch Augen für die spärlich bekleidete Kollegin hatte. Die anderen im Team sahen großzügig darüber hinweg oder taten zumindest so; man versuchte nicht, anderen Vorschriften zu machen. Schließlich mußten sie einige Wochen oder gar Monate zusammen verbringen, und da reichte es schon, wenn zwei sich stritten. Die Angelegenheit mußte sich nicht ausweiten.
Tendyke war dagegen anderer Meinung. Für ihn war Julia deRomero ein Unruhefaktor. In dieser Hinsicht war die Anwesenheit des Indios sogar zu begrüßen; es war für alle offensichtlich, daß Julia sich für Julio und keinen der anderen Männer wirklich interessierte. So wurden eventuell entstehende Rivalitäten von Anfang an eingedämmt. Allenfalls Azarro konnte bei den anderen Männern Minuspunkte sammeln - was wiederum durchaus in Tendykes Interesse lag, wenn auch aus völlig anderem Grund.
Was das Tempo ihres Vorankommens anging, hatte Tendyke ziemlich realistisch geschätzt. In den ersten beiden Tagen wäre es fast zu einer Art Meuterei gekommen. Regelmäßig mußte gestoppt werden, und drei oder vier Männer rodeten mit Äxten, Macheten und im Extremfall benzinbetriebenen Motorsägen einen Weg. Manchmal ging es recht schnell, und sie schafften in einer Stunde etliche hundert Meter. Dann aber wurde das Gelände wieder extrem dicht bewachsen, und sie brauchten für zehn Meter bis zu drei Stunden.
Tendyke fragte sich, was sie sagen würden, wenn er ihnen am Ziel ihrer Expedition begreiflich machen würde, daß sie in regelmäßigen Abständen den Weg kontrollieren und von frisch wuchernden Pflanzen säubern mußten - über die ganzen zweihundert Kilometer. Sonst konnte es geschehen, daß der Dschungel diese schmale Schneise innerhalb von drei, vier Wochen zurückeroberte und die Strapazen erneut begannen, sobald sie sich alle auf den Rückweg machten.
So geschädigt der Regenwald im Ganzen durch den ständigen Raubbau auch war, so vital war er noch immer im Detail.
Das Kartenwerk, über das Dr. Jordan verfügte, war erstaunlich exakt. Fast so, als habe jemand vom Flugzeug aus Aufnahmen gemacht, diese ausgewertet und als Karte gezeichnet. Aber das war so gut wie unmöglich. Nicht nur das Alter der Karte sprach dagegen - als sie entstand, hatte es noch keine Flugzeuge gegeben. Aber es bestand die sehr geringe Möglichkeit, daß jemand mit einem Heißluftballon das Dschungeldach überflogen hatte; immerhin sollten schon die Inka-Kulturen über solche Ballone verfügt haben, mit denen sie Luftspionage betrieben. Aber andererseits war besagtes Dschungeldach so gut wie undurchdringlich. Die wenigen Lücken im dichten Blätterdach reichten nicht aus, um von beliebiger Höhe aus zu erkennen, wie es darunter aussah. Daran scheiterten heute sogar modernste Weltraumsatelliten mit ihren fantastischen Möglichkeiten, einzelne Personen auf Schiffen zu registrieren…
Selbst für einen Mann wie Tendyke, der mit Mystischem vertraut war, war die Entstehung dieser Karte ein Rätsel. Aber immer wieder mußte er feststellen, wie exakt sie war. Hiermit die verlorene Stadt des Brennenden zu finden, mußte ein Kinderspiel sein. Aber wer oder was der Brennende war, konnten Jordans Unterlagen nicht andeuten. Gerade deshalb erhofften die Archäologen sich eine kleine Sensation. Gerade Dr. Jordan träumte davon, hier zu Weltruhm und Unsterblichkeit zu kommen.
Aber Tendyke glaubte nicht daran. Dazu fehlte Dr. Jordan das Format eines Champollion.
***
Julio Azarro spürte das Mißtrauen sehr deutlich, das ihm entgegengebracht wurde. Dieser Robert Tendyke war gefährlich. Und sein vierbeiniger Begleiter war lästig. Inzwischen wußte Azarro, daß es sich nicht um einen Hund, sondern um einen Wolf handelte. Ein Tier der Wildnis also. Hunde konnte man zähmen, Wölfe kaum. Entsprechenden Respekt entwickelte der Indio vom Stamm der Ketschua vor dem grauen Tier mit den spitzen Zähnen. Der Wolf schien ebenso wie Tendyke eine herzliche Abneigung gegen Azarro zu entwickeln. Sobald sie sich begegneten, zog der Wolf das Stirnfell kraus, legte die Ohren an und begann drohend
Weitere Kostenlose Bücher