047 - Amoklauf
der wesentlich zu seiner Wahl beigetragen hatte. Es war lediglich notwendig gewesen, das Haus und die Umgebung zu entweihen. Deshalb hatte er sich auch Haare, Fingernägel und Blutproben der Familie Richardson besorgt. Die Amokläufe dienten dazu, daß möglichst viel Blut floß und möglichst viele Menschen starben. Alles war zu seiner vollsten Zufriedenheit verlaufen. Heute würden aus aller Welt Mitglieder der Schwarzen Familie eintreffen. Es war ungeheuer wichtig, daß der Hexensabbat gut verlief. Dann konnte er eine höhere Position in der Hierarchie der Familie einnehmen. Mehr Macht, das war es, was Hewitt wollte, und er würde sie bekommen.
Zufrieden löschte er die Kerze, schlüpfte aus seinem Umhang, warf ihn über einen Stuhl und verließ das Zimmer. Um Mitternacht würde es soweit sein, aber zuvor hatte er noch einiges zu erledigen.
Meine Unruhe war von Stunde zu Stunde gewachsen. Ich konnte nicht mehr ruhig sitzen. Wie ein gereiztes Raubtier lief ich im Zimmer auf und ab. Ich fühlte mich eingesperrt und kämpfte gegen dieses Gefühl an, das mich überwältigen wollte. Verzweifelt versuchte ich mich abzulenken, doch es gelang mir nicht.
Von Coco hatte ich heute die letzten Informationen bekommen. Sie hatte sich umgehört und in Erfahrung bringen können, daß die Schwarze Familie im Haus der Richardsons einen Hexensabbat feiern wollte. Unsere Vermutungen waren also richtig gewesen. Ich lächelte bitter, als ich daran dachte, daß ich hier allein stand, praktisch ohne Hilfe war und den Hexensabbat verhindern sollte; ein Unterfangen, das fast unmöglich war. Ich wußte, welches Risiko ich einging. Wenn ich entdeckt wurde, war es aus mit mir. Es war vom O. I. heller Wahnsinn gewesen, mich allein hierher zu schicken. Aber jetzt war es zu spät, Hilfe anzufordern.
Ich trank und rauchte, und die Sekunden krochen wie Schnecken dahin. Dann wurde es dunkel, und mit der Dunkelheit kam die Angst. Unzählige Male hatte ich dem Tod ins Gesicht gesehen und – ich muß es gestehen – Angst gehabt. Nur ein Narr hat keine Angst. Es war auch noch etwas ganz anderes, urplötzlich vor eine Gefahr gestellt zu werden. Hier ließ ich mich ganz bewußt in ein Abenteuer ein, das mein letztes werden konnte. Meine Hände wurden feucht. Ich hatte Hunger, doch keinen Appetit; schon der Gedanke an Essen verursachte mir Übelkeit.
Barbara und Gloria hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, und ich war froh darüber. Ich saß allein in dem riesigen Wohnzimmer, und plötzlich mußte ich grinsen: Ich dachte daran, wie unangenehm den Mitgliedern der Schwarzen Familie einige meiner Überraschungen sein würden.
Es war durchaus möglich, daß Hewitt noch etwas mit Gloria und Barbara vorhatte. Vielleicht machte er auch sie zu Amokläuferinnen. Coco hatte zwar nicht daran geglaubt, sondern gemeint, daß die beiden Mädchen wahrscheinlich in den Hexensabbat mit hineingezogen würden, aber man konnte keine Regeln für das Verhalten von Dämonen aufstellen.
Ich hatte mir einen Platz ausgesucht, von dem aus ich die ganzen Vorgänge beobachten und auch einige Unruhe stiften konnte. Eine kleine Chance hatte ich, mit dem Leben davonzukommen, zumal die Schwarze Familie keine Ahnung von meiner Anwesenheit hatte.
Es war kurz nach neun Uhr. Ich ertrug es einfach nicht länger im Zimmer und ging auf die Veranda, die auf der Rückseite des Hauses lag. In der Tür blieb ich stehen, und Gloria drehte sich um. Sie stand an die Brüstung gelehnt und hatte den Dschungel angestarrt. Das Mondlicht fiel auf ihr Gesicht, und sie sah verändert aus. Sie war wieder so hübsch wie an dem Tag, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Das schulterlange Haar hatte sie sorgfältig frisiert; es glänzte fast silbern. Ihre Augen strahlten mich an.
»Nett, daß Sie gekommen sind, Gary«, sagte sie mit samtweicher Stimme.
Ein dünner, weißer Pulli spannte sich um ihre festen Brüste, und ihre langen, schlanken Beine steckten in weißen Baumwollhosen.
Mißtrauisch trat ich neben sie.
»Sehen Sie sich den Mond an, Gary!« sagte sie und blickte zu der vollen, runden Scheibe, die über dem Dschungel hing. Es war eine sternklare Nacht, und der Mond funkelte wie ein Edelstein, so stimmungsvoll, daß es fast schon kitschig war.
Unter anderen Umständen hätte ich die Nähe des Mädchens genossen, doch verständlicherweise gingen meine Gedanken jetzt in eine ganz andere Richtung. Glorias Gesicht war entspannt, das Haar floß weich über ihre Schultern, und
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