0482 - Der Ring des Hexers
ihrer Haut klebte und den interessierten Blicken der männlichen römischen »Fachwelt« verriet, daß sich unter dem dünnen Stoff nichts anderes als Nicoles Haut befand. Carlotta erging es in Rock und Bluse nicht viel anders. Ein Reisebus stoppte in ihrer Nähe und spie einen nicht endenwollenden Strom von Touristen aus; Nicole war gerade noch rechtzeitig vor ihnen an einem der Kioske und beschaffte Getränkedosen gleich im Dutzend, ehe die Reisenden sich auf den fliegenden Händler stürzten und den Stand fast zwischen sich erdrückten. Während sie dort erst einmal beschäftigt waren, fanden Nicole und Carlotta Zeit, die nähere Umgebung zu erkunden und sich auf dem Palatin-Gelände in den alten Ruinen umzusehen. Natürlich waren die antiken Stätten weder für Nicole noch für die Römerin etwas Neues - lediglich der neueste Stand der archäologischen Arbeiten interessierte sie. In Rom wurde wieder verstärkt gegraben; private Spenden ermöglichten es, nachdem die von chronischem Geldmangel geplagte Stadtverwaltung schon vor Jahren den Posten »Archäologie und Restauration« aus dem Etat gestrichen hatte.
»Demnächst wird auch das Kolosseum völlig restauriert«, berichtete Carlotta. In den letzten Jahren war das fast 2000 Jahre alte Bauwerk unter dem Einfluß der Autoabgase und anderer Schadstoffe mehr und mehr zerfallen; für die meisten antiken Bauwerke kam die Sperrung der Innenstadt für den Straßenverkehr um fünfzig Jahre zu spät und konnte jetzt auch nicht mehr viel retten. Vom Kolosseum lösten sich bereits immer wieder mal kleinere Steinbrocken. Nachdem nun aber das Bankhaus »Banca die Roma« eine Spende von umgerechnet etwa 55 Millionen Mark für die Restaurierung zur Verfügung stellte, bereitete man sich jetzt auf die Arbeiten vor, die im September beginnen und auf eine Dauer von etwa vier Jahren veranschlagt waren. Dabei sollte das Bauwerk möglichst in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden, wie er in der alten Kaiserzeit gewesen war.
»Es ist schade«, schloß Carlotta ihre Erläuterungen, »daß die Stadt zwar Eintrittsgelder kassiert, für den Erhalt der Bauwerke aber nichts beisteuern will. Jetzt hoffen alle, daß die Bankspende und hinzukommende weitere private Gelder ausreichen. Es wird vermutet, daß noch viel mehr erneuert werden muß, als heute abzusehen ist, und wenn alles originalgetreu nachgefertigt werden soll, kostet das Unsummen.«
Nach etwa zwei Stunden und einem Dutzend Abfallbehältern, in denen die beiden Frauen nach und nach die geleerten Getränkedosen entsorgten, stellte Nicole fest, daß die Geschäfte jetzt wieder öffneten. Per U-Bahn fuhren sie zur Via Vittorio Veneto, der größten Modestraße Italiens, und checkten ab, was die neue Saison zu bieten hatte - wenngleich die anhaltende Hitzewelle kaum dazu animierte, mehr als einen Tropfen Parfüm auf der Haut zu tragen. Was die Hüter des Gesetzes dann natürlich »Erregung öffentlichen Ärgernisses« nennen würden, wobei sich nicht nur Nicole fragte, was an einer hübschen, leicht bis gar nicht bekleideten Frau denn ein Ärgernis war.
Schließlich erreichten sie auch den Juwelierladen, in dem Carlotta den geheimnisvollen Ring entdeckt hatte -was noch eher als der Modebummel und die archäologischen Studien der Grund war, weshalb sie in die Stadt gefahren waren.
»Ha«, stieß Carlotta hervor. »Hier hat er gestern noch gelegen!« Sie deutete auf ein Perlenkollier. »Hoffentlich hat der Juwelier es nur einfach so ausgetauscht.«
»Forschen wir nach«, schlug Nicole vor und war entschlossen, den Ring des Hexers Rano vorsichtshalber zu kaufen - der Preis spielte dabei für sie keine Rolle. Aber sie wollte wissen, ob das Schmuckstück wirklich echt war, und falls nicht, wer es angefertigt hatte und wo das Original zu finden war. War es eine harmlose Kopie, konnte sie den Ring ruhig an Carlotta weitergeben und, wenn die Römerin unbedingt darauf beharrte, sie den Kaufpreis in erträglichen Raten abstottern lassen. War es aber das Original, war es besser, es so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen, ehe der darin wohnende Geist des Hexers erwachte und irgendwelchen Unfug anstellte.
»Scusi, signorini«, bedauerte der Händler. »Aber ich habe das Schmuckstück bereits gestern am frühen Nachmittag verkauft.«
Carlotta stand die Enttäuschung im Gesicht geschrieben. Nicole hakte sofort nach: »Von wem haben Sie es denn bekommen? Besteht die Möglichkeit, daß der Künstler das Stück ein
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