0482 - Der Ring des Hexers
zweites Mal anfertigt?«
Der Händler zuckte mit den Schultern. »Es tut mir wirklich leid«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, woher es stammt. Ich fand es vor etwa einem Jahr in einer Schatulle auf dem Dachboden im Haus meines damals verstorbenen Vaters. Vor ein paar Tagen habe ich mich endlich dazu durchgerungen, es zum Verkauf auszustellen, und nun hat es einen neuen Besitzer. Aber ich kann Ihnen einen befreundeten Goldschmied empfehlen, der Ihnen ein sicher recht ähnliches Stück anfertigen wird, wenn Sie es ihm nur gut genug beschreiben.«
Nicole schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht«, sagte sie, während der Verdacht, es mit dem echten Rano-Ring zu tun zu haben, in ihr immer stärker wurde. »Lagen außer dem Ring noch andere Dinge in der Schatulle? Vielleicht Aufzeichnungen? Vielleicht findet sich auf dem Dachboden noch ein Hinweis…«
»Kaum, signorina«, bedauerte der Händler. »Vor zwei Monaten habe ich das Haus abreißen lassen. Es war zu baufällig, um es zu restaurieren. Aber ich verstehe Ihr Interesse an gerade diesem Stück nicht, signorina. Darf ich nach dem Grund fragen?«
»Es sieht einem alten Familienerbstück sehr ähnlich, das vor einiger Zeit spurlos verschwand«, behauptete Nicole schnell. »Meine Freundin sah es gestern in Ihrer Auslage und glaubte es nach meiner Beschreibung wiedererkannt zu haben. Nun, da ist wohl nichts zu machen… es sei denn, Sie könnten mir zufällig sagen, wer den Ring gekauft hat.«
»Das tut mir leid. Ich würde Ihnen sicher gern weiterhelfen, aber ich kenne den Mann nicht. Er zählt nicht zu meinen Stammkunden, und er sah auch nicht so aus, als könnte er sich diesen Ring wirklich leisten. Das kann natürlich täuschen; man sieht nicht jedem Menschen den Kontostand an. Aber der Ring paßte auch nicht zu seinem Typ. Ein schlaksiger, junger Mann, etwa 25 Jahre alt, mit einem schmalen Gesicht und blaßgrünen Augen. Auffallend die hohe Stirn und der Lagerfeld-Zopf im Nacken…«
»Na, das ist doch schon mal etwas«, sagte Nicole wenig überzeugt. »Ich danke Ihnen für Ihre Mühe. Arrivederci, signore.«
Draußen waren sie gerade ein paar Schritte gegangen und standen vor dem nächsten Schaufenster, als Carlotta Nicoles Arm faßte. »Du, halte mich für verrückt, aber es könnte sein, daß ich den Mann schon mal gesehen habe.«
»Es wird in Rom an die hundert junge, schlaksige Männer mit Lagerfeld-Zopf geben«, gab Nicole zu bedenken. »Ich bezweifle, daß die Personenbeschreibung uns hilft. Das ist wie mit den Zeugenaussagen bei einem Verkehrsunfall. So viele Zeugen, so viele verschiedene Beschreibungen desselben Objektes und Tatbestandes.«
»Trotzdem«, beharrte Carlotta. »Eine meiner Freundinnen schleppte einige Male einen Typen mit sich herum, auf den diese Beschreibung durchaus passen würde. Er hat eine hohe Stirn und blaßgrüne Augen!«
Nicole seufzte. »Meinst du nicht, daß dieser Zufall ein bißchen zu groß wäre?«
»Probieren wir’s doch einfach«, schlug Carlotta vor. »Fragen wir Ilona einfach, ob ihr Scheich sich gestern einen verrückten Ring gekauft hat! Nebenbei, Ilona hat eine absolute Schwäche für Klunkerkram dieser Art, und es könnte durchaus sein, daß er den Ring gekauft hat, um ihn ihr zu schenken!«
***
Abermals drehte Rano, der Hexer, seinen Ring dreimal am Finger, und abermals formulierte er dreimal hintereinander einen Zauberspruch. Diesmal erschien kein Monster aus dem Nichts, sondern nacheinander materialisierten vor ihm jene Dinge, welche er benötigte, um die geplante Dämonenbeschwörung vorzunehmen. Er hatte sorgfältig überlegt und seine Wahl getroffen, weil seine Existenz davon abhängen mochte. Einige Dinge fand er im Haushalt Pietro Catalonis, die anderen hatte er sich jetzt auf magische Weise beschafft. Rano, der Hexer, hatte es nicht nötig, beispielsweise bei Vollmond an einem Kreuzweg das Haar eines dort verscharrten Selbstmörders auszugraben und abzuschneiden wie eine alte, zahnlose Hexe, er besaß die Macht, sich das, was er brauchte, anderweitig zu beschaffen. Der Ring war es, der ihm diese Macht verlieh, die künftig noch viel größer werden sollte. Es hing davon ab, ob die Beschwörung und das, was folgte, gelang - und zwar so, wie er es geplant hatte.
Er wollte nach Möglichkeit an diesem Abend zuschlagen.
Sorgfältig begann er die Dinge zu sortieren und bereitzulegen, die der Ring ihm beschafft hatte. Nur eines fehlte jetzt noch, und um es zu erlangen, benötigte er die Magie des
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