0484 - Die Rächerin aus Aibon
Kranken mitbringt. Es muß etwas Großartiges sein, das spüre ich. Es hat eine Beziehung zu mir. Ich kann es erfassen.« Er bewegte beim Sprechen kaum die Lippen. Wir vernahmen seine Worte nur mehr als Flüstern. »Die Gabe besitzt eine Ausstrahlung, Sie ist wie ein Feuer. Nur strahlt sie keine Hitze aus, dafür etwas anderes. Ich möchte sagen, etwas Wunderbares, das mir Hoffnung geben kann. Ist dem so?«
»Das kann sein«, erwiderte ich.
»Man kann es nicht einfach kaufen«, sprach der Abbé weiter. »Vielleicht hat es euch gehört, und ihr habt euch von ihm getrennt. Habe ich recht? Komme ich der Lösung näher?«
»Du kommst!«
Suko schaute mich an und nickte. Auch er war überrascht, wie nahe der Abbé der Wahrheit schon gekommen war.
»Es hat nicht unmittelbar mit mir zu tun«, flüsterte der Franzose. Seine Hände bewegten sich jetzt noch schneller über die Decke. »Aber ich könnte von ihm profitieren. Stimmt es?«
»Du hast recht.«
»Das freut mich. Das freut mich wirklich. Es wird mir eine Hilfe sein. Vielleicht kann mich dieses Geschenk auch zu anderen Ufern führen.«
»Ich streite es nicht ab«, sagte ich.
Der Abbé nickte. Mit der linken Hand griff er an den Brillenbügel, ohne die dunkle Brille allerdings abzunehmen. Er dachte weiter nach und schüttelte plötzlich den Kopf. »Nein«, sagte er. »Es tut mir leid.« Seine Stimme wurde brüchig. »Es ist so nah, aber ich kann es beim besten Willen nicht erfassen. Vielleicht später einmal, wenn ich es gelernt habe, meine Sinne zu kontrollieren und sie exakt einzusetzen. Heute bin ich einfach zu schwach.« Er hob die Schultern und wirkte plötzlich ausgebrannt auf uns.
Ich wollte ihn auch nicht länger quälen und sagte: »Ich werde dir unser Geschenk jetzt geben, Abbé.«
»Ja, ich warte.« Er schob seine beiden Hände vor. Der Raum zwischen ihnen war groß genug, um den Würfel hineinschieben zu können, was ich auch gern tat.
Bloch griff zu. Er tat es sehr vorsichtig, als hätte er Angst davor, etwas zu zerbrechen. Die Handflächen schob er über die Seiten des Würfels. Wir schauten zu und sahen, daß er zusammenzuckte, bevor er seine Hände härter gegen das Geschenk preßte. Dabei hob er den Kopf so an, als wollte er uns in die Augen sehen.
»Was ist das?« flüsterte er.
»Kannst du es nicht ertasten?« stellte Suko die Gegenfrage.
»Schon, aber es ist so ungewöhnlich. Ich könnte meinen, daß es sich dabei um einen Würfel handelt.«
»Du hast recht.«
Der Abbé schüttelte den Kopf. Wir schwiegen, und die Spannung stand zwischen uns wie eine Wand. »Aber es muß ein besonderer Würfel sein. Das ist kein normaler. Ich habe das Gefühl, als würde von ihm etwas ausgehen, das mich mitten in meine Seele trifft. Versteht ihr?«
»Sicher«, antwortete ich. »Aber gib nicht auf, versuche es weiter, mein Freund.«
»Natürlich.«
Er tastete den Würfel genau ab. Seine Hände fuhren an den Flächen hoch, wieder hinab. Er hob ihn an, legte die Handfläche unter den Würfel, strich mit seiner Fläche über die obere Kante und verzog die Lippen zu einem breiten Lächeln. »Das muß etwas Besonderes sein, Freunde. Ich spüre, daß der Würfel lebt.«
»Das stimmt, Abbé«, erklärte ich ihm. »Aber ist dir bei dem Begriff Würfel nichts aufgefallen?«
Er zögerte einen Moment mit der Erwiderung. »Ja, schon«, sagte er leise. »Mir ist tatsächlich etwas aufgefallen. Habt ihr den Würfel nicht des öfteren erwähnt?«
»Natürlich.«
»Dann ist er es!« rief er plötzlich. »Dann ist euer Geschenk der Würfel des Unheils!«
***
»Oder des Heils«, fügte ich hinzu. »Den Würfel des Unheils besitzt ein anderer, der Spuk.«
Ich wußte nicht, ob mich der Abbé verstanden hatte. Zumindest hatte er mich gehört, denn er nickte, obwohl sein Gesicht dabei einen geistesabwesenden Ausdruck angenommen hatte. Er mußte sich räuspern, um die Sprache wiederzufinden. »Was… was soll ich dazu sagen?« fragte er leise. »Was, bitte?«
»Nichts«, erwiderte ich. »Nimm den Würfel und betrachte ihn als ein Geschenk von uns.«
Bloch schüttelte den Kopf. »Nein, das ist mehr als ein Geschenk«, erwiderte er, »viel mehr. Das ist… das kann ich kaum annehmen, wirklich nicht…«
Suko legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du mußt es aber, mein Freund…«
Der Abbé zögerte. Er drückte seinen Kopf nach hinten, als wollte er gegen die Decke schauen. Sein Gesicht zuckte. Besonders stark bewegten sich dabei die Mundwinkel. In seinem
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