0484 - Die Rächerin aus Aibon
bewußt auf das Thema gebracht, um ihn abzulenken. Das schaffte ich auch.
»Der Würfel«, wiederholte er. »Du hast mir viel über ihn erzählt. Er ist ein Orakel, ein Machtfaktor. Er kann Verbindungen herstellen, das alles ist mir bekannt, aber wird er es auch schaffen, mich vor meinen Feinden zu schützen?«
»Er könnte dich warnen.«
»Aber ich kann nicht reagieren.«
»Versuche es, Abbé. Nimm ihn wieder zwischen deine Hände und konzentriere dich. Ich hätte ihn dir nie gegeben, wenn ich nicht von deiner Lauterkeit überzeugt gewesen wäre. Ich weiß, daß du eine große Verantwortung trägst. Du bist ein Mensch, der nichts Böses will, der von der Dunklen Seite der Welt gejagt wird. Ich glaube, daß der Würfel dir trotz allem helfen wird.«
»Das werde ich herausfinden müssen.«
»Fang jetzt damit an«, schlug ich vor.
»Wieso? Was soll ich tun?«
»Konzentriere dich auf ihn. Versuche bitte, so mit ihm zurechtzukommen, daß er ein Stück von dir wird. Oder ist das zuviel verlangt?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber ich bin nicht du. Ihr habt ihn unter großen Mühen an euch gebracht, ihr…«
»Bitte, Abbé«
Er hob die Schultern. Was immer die Geste bedeuten sollte, ich sah sie als Zustimmung an. Noch immer zitterten seine Hände, als er die Flächen gegen die Seiten des Würfels drückte und sich allein auf, ihn konzentrierte. Er blieb auch nicht in seiner steifen Haltung sitzen. Das Zurücklehnen machte es ihm bequemer. Er betrat Neuland und mußte sich erst mit dem neuen Geschenk anfreunden. Ob er mit dem Würfel ebensogut wie mit der Silbermaske zurechtkam, war fraglich.
Es wurde still im Krankenzimmer. Auch Suko und ich atmeten flach. Wir wollten unseren Freund bei seiner ersten Feuerprobe nicht stören.
Auch der Abbé hatte sich wieder etwas gefangen. Er atmete ebenfalls nicht hastig, holte durch den Mund Luft und ließ sie aus den Nasenlöchern wieder ausfließen.
Mein Blick konzentrierte sich auf den Würfel. Der Abbé konnte ihn ja nicht sehen, aber ich kannte dieses viereckige, rotviolette Gebilde mit den helleren Einschlüssen darin.
Was hatte es um ihn schon Kämpfe gegeben? Für mich war er ein Mittler, zwischen der Realität und der Mystik. Er konnte beide Welten zusammenbringen und auch mithelfen, Probleme zu lösen. Hoffentlich schaffte er das auch bei unserem Freund, den Abbé.
Die Minuten liefen dahin. Auch wir waren gespannt. Ich dachte an die gesamte Umgebung und hoffte, daß ich das Krankenzimmer bald nicht mehr wiedersehen würde.
Man hatte die Wände in einem freundlicheren milden Grün gestrichen. Die Motive der beiden Bilder zeigten freundliche Landschaften. Einmal das Gebirge, zum anderen die Küste, gegen deren Strand die Wellen sanft anrollten.
Dann geschah doch etwas.
Der Abbé holte sehr tief Luft. Es hörte sich bei ihm an wie ein Schlürfen.
Sofort waren Suko und ich »wach«. Wir stellten noch keine Fragen und konzentrierten uns auf ihn und den Würfel. Seine Brille hatte er nicht wieder aufgesetzt, die weißen verdrehten Pupillen wirkten bei ihm wie hineingemalt.
Aber der Würfel hatte reagiert. Die fingerlangen, hellen Einschlüsse bewegten sich. Es war zuerst nur ein Zucken, als wollten sie sich durch diese Bewegungen voranpeitschen.
Ich aber wußte, daß diese Informationsträger etwas bemerkt hatten und reagierten.
Auch Suko hatte es gesehen und warf mir einen langen Blick zu, bevor er nickte.
Ich empfand die Bewegung der magischen Informationsträger innerhalb des Würfels als sehr positives Zeichen. Also hatte er seinen neuen Besitzer akzeptiert.
Was tat der Abbé? Er blieb noch ruhig. Ich dachte schon darüber nach, ob ich den Blinden informieren sollte, als etwas Seltsames und auch Unheimliches geschah.
Die toten Augen des Abbé veränderten sich. Als wäre ein unsichtbarer Maler dabei, seinen Pinsel zu schwingen, so nahmen die Pupillen plötzlich eine dunklere Farbe an. Zuerst ein beinahe sanftes Rot, das sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr intensivierte und schließlich genau die Farbe des Würfels angenommen hatten.
Violett, dabei leicht glänzend, wie Nagellack. Für uns war es der untrügliche Beweis.
Der Würfel hatte seinen neuen Besitzer akzeptiert!
Noch tat der Abbé nichts. Er blieb unbeweglich sitzen, aber seine Lippen zuckten. Es kam uns vor, als würden sie von einem hintergründigen, sehr feinen Lächeln gekräuselt. Die Depression war verschwunden, er hatte es geschafft.
Wir hörten seine Stimme. Noch klang sie ein
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