0488 - Blutregen
Außerdem würde er Don Cristofero und die anderen erst einmal suchen müssen. Da war es besser, wenn er sich vorher einigermaßen darüber informierte, wie der Verlauf der wichtigsten Straßen war und wo markante Gebäude standen, die er als Orientierungshilfe benutzen konnte.
Aber als er dann auf der Wallkrone stand, mußte er zu seinem Bedauern feststellen, daß es mit dem erwünschten Überblick nicht sonderlich weit her war. Er befand sich zwar jetzt etwa drei Meter über dem Erdboden, aber diese drei Meter ermöglichten ihm noch längst keinen Blick über die Hausdächer hinweg.
Überhaupt, ein komischer Wall war das. Kein Wehrgang, keine Brüstungen. Nur einfach ein Weg über die Wallkrone, als handele es sich nur um einen Deich. Wachen gab es auch keine. Der Gnom schüttelte verständnislos den Kopf; so ließ sich das Dorf keinesfalls gegen Angreifer verteidigen. Ebenso närrisch war es, die Garnison auf einem eigenen Gelände außerhalb der Ortschaft anzulagern. Aber das waren schließlich nicht seine Probleme, sondern die der Bewohner, und auf den Gedanken, daß der Schutzwall mit Palisade und Graben und unbewachten, aber gut verschließbaren Toren nur dazu gedacht war, das beißfreudige und hochgiftige Kleingetier nicht bis zu den Häusern Vordringen zu lassen, kam der Gnom nicht.
Aber er stellte fest, daß er auf der Wallkrone einhergehen und so das Dorf vollständig umrunden konnte; die Portale, die die nach außen führenden Straßen verschlossen, waren überbrückt. So konnte er sich zwar keinen Gesamtüberblick verschaffen, aber von verschiedenen Seiten aus Einblicke in die Straßenfluchten gewinnen. Und er ging davon aus, auf diese Weise seinen Herrn und Gebieter ausfindig machen zu können. Die Erfahrung zeigte, daß Don Cristofero überall, wo er sich in der modernen Welt bewegte, Anstoß erregte. Wo es also turbulent wurde, war mit seiner Nähe zu rechnen. Der Gnom übertrug diese Erfahrungswerte einfach auch auf die Welt unter der Türkissonne. Er ging davon aus, seinen Herrn dort zu finden, wo es rund ging.
Dies war eine recht naive Suchmethode, und jede Wahrscheinlichkeit sprach absolut gegen den Erfolg.
Aber das Glück ist mit den Tapferen.
***
Robor begleitete Brick Solonys aus dem Tempel hinaus ins Freie. Draußen hatten sich trotz der frühen Morgenstunde schon zahlreiche Menschen versammelt. Unwillkürlich furchte Robor die Stirn. Er versuchte, dem Stimmengewirr etwas zu entnehmen. Als die Menschen Solonys erkannten, wurde es etwas ruhiger auf dem großen Vorplatz. Er war als einer der alten Männer mit Macht bekannt und auch beliebt. Robor lächelte huldvoll; an der Seite dieses Mannes zu stehen, bedeutete viel für die Bruderschaft vom Stein. Die Sympathie des Volkes für Solonys übertrug sich so auch auf die Brüder. Am Königshof hatte die Bruderschaft zwar Macht und Einfluß, und der König war nur ein Schattenregent in der Hand der Priester, aber für die Bruderschaft war es wichtig, auch von der Basis akzeptiert zu werden, vom einfachen Volk.
Robor erkannte einen Bruder, der gerade das Novizenstadium hinter sich gebracht hatte, und winkte ihn mit einer kaum merklichen Handbewegung zu sich. »Was ist los?« fragte er leise. »Was hat dieser Aufruhr im Vorfeld des Tempels zu bedeuten? Wovon reden diese Leute?«
»Man hat einen Frevler gefaßt, einen Tabubrecher«, sagte der junge Bruder, der sich vorher mit einigen der Menschen unterhalten hatte. Aber offenbar war es ihm nicht gelungen, sie zu beruhigen. »Es gab eine regelrechte Hetzjagd in den Straßen, und schließlich wurde auch die Miliz einbezogen. Einer von uns ist mit bei der Gruppe. Sie müssen gleich hier auftauchen.«
»Diese Leute warten hier also darauf, den Tabubrecher zu sehen?« vergewisserte sich Robor.
»Sie wollen ihn sehen und beschimpfen. Vielleicht wäre es am besten, ihn direkt hier auf dem Platz zu verurteilen und seiner Strafe zuzuführen.«
»Wir wollen sehen«, brummte Robor, der einen bestimmten Verdacht hegte.
Brick Solonys verzog das Gesicht. »Ein Tabubrecher! Unfaßbar! Alles konzentriert sich darauf! Von der Entführung meiner Tochter redet keiner! Wenn Volk und Miliz sich eher auf die Suche nach dem flüchtigen Spion aus Anderland konzentrieren würden, wäre das wesentlich besser.«
»Wartet ab, Herr Solonys«, bat Robor. »Wenn mein Verdacht stimmt, sind soeben zwei Beißwurmkäfer mit einer Zange durchschnitten worden, Seht!«
Zwei Dutzend Soldaten zerrten eine Frau mit sich, die in
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