05 - Der Conquistador
Ts’onot unterwegs.
»Ich tat nur, was du selbst vorgeschlagen hattest: Ich ließ die Gefangenen frei und gab ihnen alles mit auf den Weg, was nötig war, um ihren Stammesführer wissen zu lassen, dass es hier nicht allein um das Schicksal des Herrschers der Maya geht, sondern …«
»… um das Schicksal aller.«
Diegodelanda nickte. »Als ich es schon nicht mehr zu hoffen wagte, trafen die Tutul Xiu heute unter Führung ihres Kaziken ein. Moch Couoh ist ein kluger Kopf. Ihr solltet den Dialog nie mehr abreißen lassen …«
9.
Gegenwart
31. Marzo 1517. Heute wird es sich entscheiden. Wir stehen vor Ah Kin Pech. Hier hausen die Narren, die den Weißen Ritter betrogen haben. Sie werden es bitter bereuen.
Mein geheimer Herr trug mir auf, keinen zu schonen, wenn ich erst in Händen halte, wonach ihm so machtvoll gelüstet.
Und so gebe ich den Befehl, mit allen Soldaten gegen die Stadt der Wilden vorzurücken, um die Teile jener sonderbaren »Maschine« zu finden und an Bord unserer Schiffe zu schaffen. Ich denke, mein Auftraggeber wird befehlen, die Teile mit zurück nach Cuba zu nehmen, um sie dort zusammenzusetzen – und mir meinen Lohn zu geben.
Der Weiße Ritter hat einen verwegenen Plan, um die Stadt im Handstreich zu erobern. Einige meiner Leute musste ich ihm dafür überlassen. Sie erschraken zunächst, als sie ihn sahen, aber wie schon während des Sturms, als er geisterhaft mal hier, mal da zur Stelle war, akzeptierten sie ihn bald als mächtiges, uns wohlgesonnenes Wesen; einige vermuten in ihm gar einen Engel des Herrn!
Mit Einbruch der Nacht bricht er auf, um uns die Stadt zu Füßen zu legen.
Kampflos soll sie uns übergeben werden.
…
Nach kurzem Schlummer, angelehnt an einen Baum, weckte mich mein Schreiber. Ein Bote ist aus der Stadt gekommen. Kein Einheimischer, sondern einer der unsrigen. Und er bestätigt, was der Weiße Ritter uns versprach: Die Stadt ist gefallen – ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Wir können und wir werden jetzt nachrücken. Gelobt sei der Herr!
(aus den Aufzeichnungen des Francisco Hernández de Córdoba)
Im Licht zweier Kerzen, die Maria Luisa unmittelbar hinter dem Eingang gefunden und angezündet hatte, erkundeten sie das verlassene Kirchenschiff, das selbst seiner Bänke beraubt worden war. Ein großer leerer Raum war alles, was sie erwartete; fast alles. Den Altarstein ganz vorne gab es noch; wahrscheinlich war er dem Räumkommando zu schwer erschienen, um ihn fortzuschaffen.
Tom suchte vergeblich nach christlichen Symbolen, nur schattenhafte Abdrücke entfernter Kruzifixe waren an den Wänden verblieben.
Seitlich vom Altar gab es eine Tür, die in die Sakristei führte, jedoch verschlossen war – und diesmal steckte der Schlüssel nicht einfach im Schloss. Falls es dort also Möglichkeiten zum Übernachten gab, würden sie die Tür aufbrechen müssen. Tom sah sich bereits nach etwas um, das er als Rammbock oder Stemmeisen benutzen konnte, als Maria Luisas Stimme ihn erreichte. Sie stand vor dem geräumigen Beichtstuhl, hatte die Tür geöffnet und schaute hinein.
»Was hast du entdeckt?«, fragte Tom.
»Bequemlichkeit«, antwortete sie kryptisch.
»Du willst doch wohl nicht da drin übernach-« Tom brach ab, als er bei dem Beichtstuhl ankam und einen Blick hinein warf. Er war bis obenhin mit den Polstern der entfernten Sitzbänke gefüllt. Derart geschützt, hatten sie die Zeit gut überstanden, rochen nicht einmal muffig.
»Warum hat man die hier zurückgelassen?«, wunderte sich Maria Luisa.
Tom zuckte die Schultern. »Was weiß ich? Möglich, dass die Bänke von einem Sägewerk abgeholt wurden; die konnten die Polster wohl nicht gebrauchen.«
»Oder Gott hat in seiner Güte dafür gesorgt, dass wir eine geruhsame Nacht verbringen können«, sagte Maria Luisa, grinste dabei aber so verschmitzt, dass Tom die Bemerkung nicht für bare Münze nahm.
»Na, dann bereite ich uns mal die Bettchen, während du Alejandro holst«, meinte er. »Ich hoffe, er schläft schnell wieder ein, wenn er jetzt so grob aus seinen Träumen gerissen wird.«
»Ich bin niemals grob.«
Tom beschränkte seine Skepsis auf ein kurzes Stirnrunzeln.
Eine halbe Stunde später bliesen sie die Kerzen aus, auf drei Lagen Posterkissen gebettet und rechtschaffen müde. Zuvor hatte Tom den Land-Rover noch hinter die Kirche gefahren. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, hier von den Indios aufgespürt zu werden, verschwindend gering war, konnte man nie wissen.
Die Nacht
Weitere Kostenlose Bücher