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05 - Der Conquistador

05 - Der Conquistador

Titel: 05 - Der Conquistador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Innentasche seines Jacketts und holte einen Metallzylinder von der Größe einer Zigarre hervor. Fast andächtig schraubte er den Deckel des Behälters ab und ließ den Inhalt in die hohle Hand fallen.
    Das Etwas war mehrfach gefaltet, anthrazitfarben und schimmerte, als wäre es aus hauchdünnen Metallfäden zu einem Tuch gewebt worden. Pauahtun ließ den Behälter samt Deckel in der Außentasche seiner Anzugsjacke verschwinden und faltete das Gewebe auseinander.
    Als er sich bückte und das metallisch schimmernde Tuch unter dem Toten platzierte, wo es sich so eng an den Boden schmiegte, als würde es davon angesaugt, bedeckte es eine Fläche nicht größer als etwa dreißig mal dreißig Zentimeter.
    Pauahtun richtete sich wieder auf und murmelte ein paar Sätze in der Alten Sprache. Dann gab er den Männern, die das Seil hielten, das Zeichen, Huracan hinabzulassen.
    Sie entwickelten keine übermäßige Eile; langsam senkte sich der Leichnam dem Tuch entgegen. Als der Abstand dazu zwanzig Zentimeter unterschritt, geriet das Gewebe plötzlich in unheimliche Bewegung. Die eben noch vollkommen glatte Oberfläche glich jetzt einem Miniaturozean, über den unablässig Wellen hinwegrollten.
    Je näher die Füße des Toten dem Phänomen kamen, desto mehr sah es so aus, als versuchten die Wellenkämme Tentakel auszubilden und nach Huracan zu greifen. Als einer dieser Ausläufer es schaffte, die Schuhsohlen des Verstorbenen zu streifen, ging alles ganz schnell. Das Trio, das Huracan festhielt, fühlte, wie ein heftiger Ruck das Seil durchlief, und ließ gedankenschnell los.
    Der Tote stürzte jedoch nicht einfach zu Boden, sondern wurde in das kleine Quadrat des Gewebes hineingezogen, dabei gequetscht und verbogen, dass jeder Beobachter unwillkürlich erwartete, das Brechen der Knochen zu hören. Doch alles verlief in gespenstischer Lautlosigkeit, und schon einen Wimpernschlag später war Huracan komplett und spurlos verschwunden. Die Oberfläche des metallisch schimmernden Tuches hatte sich wieder vollkommen beruhigt.
    Bevor Pauahtun sich erneut bückte, verließen wieder Worte der Alten Sprache seinen Mund. Dann hob er das Gewebe auf, faltete es sorgfältig zusammen und verstaute es in dem dazugehörigen Behälter.
    Erwartungsvoll sahen seine Männer ihn an.
    Ein zufriedener Ausdruck lag um Pauahtuns Lippen, als er den Kandidaten zu sich winkte, der dazu ausersehen war, Huracans Platz einzunehmen. Beeindruckt von dem gerade Erlebten, trat der Indio vor ihn.
    »Du hast alle Prüfungen, die dir auferlegt wurden, bestanden«, empfing ihn der Anführer des Geheimbundes, »und so heiße ich dich in unseren Reihen willkommen. Vom heutigen Tage an bist du ein vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft. Deinen bisherigen Namen wirst du nur noch außerhalb des Bundes verwenden – inmitten deiner Brüder heißt du fortan wie der, den du ersetzen sollst. Hast du das verstanden, Huracan?«
    Der neue Huracan verneigte sich.
    ***
    Endlich!
    Tom Ericson klappte die Kladde zu und atmete tief durch. Er hatte das Gefühl, dass die Luft kaum noch Sauerstoff enthielt, weil er sie schon etliche Male in seinen Lungen umgewälzt hatte. Er scheute sich aber, ein Fenster des Wohnwagens zu öffnen und die kalte Novemberluft hereinzulassen. Hier drin mochte es zwar stickig sein, dafür aber auch – dank des Gasofens – schön warm.
    Seit Stunden hockte er nun schon in dem Wagen, den man ihnen zugewiesen hatte, nachdem man sich einig geworden war, wie sie sich freie Kost und Logis verdienen konnten: Maria Luisa an der Kasse eines Fahrgeschäfts und Alejandro, indem er das Futter sortierte, gegebenenfalls zerteilte und zu den Tieren brachte – eine Aufgabe, die er bewältige, nachdem Maria Luisa sie Schritt für Schritt mit ihm durchgegangen war.
    Tom selbst verdingte sich als »helfende Hand« und packte dort an, wo er gebraucht wurde. Das betraf vorwiegend den Auf- und Abbau der Fahrgeschäfte, sodass er zwischendurch genug Zeit für die Übersetzung fand.
    Nachdem er an diesem Nachmittag, nach einer Woche Aufenthalt auf dem Jahrmarkt, die Kladde endlich komplett übersetzt und sich die Brisanz des Inhalts vergegenwärtigt hatte, wollte er für den Moment nur eines: raus an die frische Luft, ein paar Schritte gehen und die tausend Gedanken, die durch seinen Kopf wirbelten, sammeln und sortieren.
    Und genau das werde ich auch tun.
    Er hatte vor, bei Maria Luisa vorbeizuschlendern und ihr Bescheid zu sagen. Vielleicht hatte sie etwas Zeit und

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