05 - Der Schatz im Silbersee
offenen Fenster der Stube, in welcher sich Old Firehand befand, vorübergingen, hörte dieser einen von ihnen mit unterdrückter Stimme sagen: „Alles gut! Wenn nur auch das Ende so, wie der Anfang ist!“
Der Ingenieur trat zu Old Firehand herein und sagte: „Ihr hattet sehr recht, Sir! Dieser Faller hat dafür gesorgt, daß er nicht zu arbeiten braucht, sondern Zeit hat, nach dem Eagle-tail zu gehen. Er trug die Hand verbunden.“
„Jedenfalls ist dieselbe ganz gesund. Warum habt Ihr den Schreiber erst auf fünf Uhr bestellt?“
„Weil ich ihn bis zum Schlafengehen beschäftigen soll. Das würde ihn und mich ermüden und ihm wohl auch auffällig sein, wenn es allzu lange währte.“
„Sehr richtig. Es sind immerhin fünf volle Stunden bis zehn Uhr, und es wird nicht leicht sein, ihn bis dahin vom Verkehr mit den andern abzuhalten.“
So war also nun der erste Teil der Einleitung vollendet. Zu dem zweiten Teil konnte man erst dann übergehen, wenn man das Gespräch der beiden Kundschafter belauscht hatte. Bis dahin war noch eine lange Zeit, welche Old Firehand, der sich nicht sehenlassen wollte, auf den Schlaf verwendete. Als er erwachte, war es fast dunkel geworden, und der Neger brachte ihm sein Abendbrot. Gegen zehn Uhr kam dann der Ingenieur und meldete, daß der Schreiber schon längst gegessen habe und sich nun auf sein Zimmer begeben werde.
Old Firehand stieg also in das Stockwerk hinauf, von welchem aus eine viereckige Klappe auf das flache Dach führte. Auf dem letzteren angekommen, legte er sich nieder und kroch leise nach derjenigen Stelle der Dachkante, unter welcher, wie er sich erkundigt hatte, das betreffende Fenster lag. Es war so dunkel, daß er es wagen konnte, hinabzugreifen. Es war so nahe, daß er es mit der Hand zu erreichen vermochte.
Als er einige Zeit ruhig wartend dagelegen hatte, hörte er unter sich eine Tür gehen. Schritte gingen nach dem Fenster, und der Schein eines Lichtes fiel aus demselben hinaus ins Freie. Das Dach bestand aus einer dünnen Bretterlage und darauf genageltem Zinkblech. So wie Old Firehand die Schritte unter sich hörte, so konnte auch er selbst von dem Schreiber gehört werden; es war also große Vorsicht nötig.
Nun strengte der Jäger seine Augen an, um das nächtliche Dunkel zu durchdringen, und zwar nicht vergeblich. In der Nähe des aus dem Fenster fallenden Lichtscheines stand eine Gestalt. Dann klang das Fenster; es wurde geöffnet.
„Esel!“ raunte eine viertelslaute, zornige Stimme. „Tu doch die Lampe weg; das Licht trifft ja auf mich!“
„Selber Esel!“ antwortete der Schreiber. „Was kommst du schon jetzt! Man ist im Haus noch wach. Komm in einer Stunde wieder.“
„Gut! Aber sag wenigstens, ob du eine Nachricht hast!“
„Und was für eine!“
„Gut?“
„Herrlich! Viel, viel prächtiger, als wir es hätten ahnen können. Aber gehe jetzt; man könnte dich sehen!“
Das Fenster wurde geschlossen, und die Gestalt verschwand aus der Nähe des Hauses. Nun war Old Firehand gezwungen, eine Stunde und noch länger warten zu müssen, ohne sich regen zu dürfen. Aber das war keine Anstrengung für ihn, denn ein Westmann ist an viel Schwierigeres gewöhnt. Die Zeit verging, wenn auch langsam, aber doch. Unten in den Häusern und Hütten brannten noch die Lichter. Hier oben aber bei der Wohnung des Ingenieurs war alles in tiefes Dunkel gehüllt. Old Firehand hörte, daß das Fenster wieder geöffnet wurde; die Lampe brannte nicht mehr. Der Schreiber erwartete seinen Gefährten. Nicht lange, so hörte man das leise Knirschen des Bodens, auf welchen ein Fuß getreten hatte.
„Faller!“ flüsterte der Schreiber vom Fenster aus hinab.
„Ja“, antwortete der Genannte.
„Wo stehst du? Ich sehe dich nicht.“
„Ganz nahe an der Wand, gerade unter deinem Fenster.“
„Ist alles dunkel im Haus?“
„Alles. Ich habe mich zweimal um dasselbe geschlichen. Es ist kein Mensch mehr wach. Was hast du mir zu sagen?“
„Daß es nichts mit der hiesigen Kasse ist. Es gibt hier vierzehntätige Löhnung, und gestern ist Zahltag gewesen. Wir müßten also volle zwei Wochen warten, und das ist doch unmöglich. Es sind nicht ganz dreihundert Dollar in der Kasse; das ist nicht der Mühe wert.“
„Und das nanntest du vorhin eine herrliche, prächtige Nachricht? Dummkopf!“
„Schweig! Mit der hiesigen Kasse ist es freilich nichts; aber morgen, des Nachts, kommt ein Zug mit über viermal hunderttausend Dollar hier
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