05 - Der Schatz im Silbersee
erschießen?“
„Natürlich! Aber Ihr bringt es nicht fertig. Es gehörte in eine Menagerie und ist das gefährlichste Raubtier der Welt. Flieht auf die andre Seite des Schiffes.“
Niemand als nur Tom kannte die närrische Gestalt, doch riefen alle ihr die Warnung zu, zu fliehen. Sie aber schien einen Spaß daran zu finden, mit dem Panther Haschen zu spielen. Sie führte das zerbrechliche Ruder mit wahrer Meisterschaft und wußte dem Tier mit erstaunlicher Geschicklichkeit auszuweichen. Dabei rief sie immer mit derselben Fistelstimme herauf: „Werde es schon fertigbringen, alter Tom. Wohin wird denn so eine Kreatur geschossen, wenn es nötig ist?“
„Ins Auge“, antwortete Old Firehand.
„Well! So wollen wir diese Wasserratte mal herankommen lassen.“
Er zog das Ruder ein und griff zur Büchse, welche neben ihm gelegen hatte. Floß und Panther näherten sich einander schnell. Das Raubtier blickte mit weit offenen, starren Augen auf den Feind, welcher das Gewehr anlegte, kurz zielte und zweimal abdrückte. Das Gewehr weglegen, zum Ruder greifen und das Floß zurücktreiben, war das Werk eines Augenblicks. Der Panther war verschwunden. Da, wo man ihn zuletzt gesehen hatte, bezeichnete ein Strudel den Ort seines Todeskampfes; dann sah man ihn weiter abwärts wieder an der Oberfläche erscheinen, regungslos und tot; dort trieb er einige Sekunden lang und wurde dann wieder in die Tiere gezogen.
„Ein Meisterschuß!“ rief Tom vom Deck herab, und die Passagiere stimmten begeistert bei, nur der Menageriebesitzer nicht, welcher um den teuren Panther und seinen Tierbändiger gekommen war.
„Zwei Schüsse waren es“, antwortete die abenteuerliche Gestalt vom Fluß herauf. „In jedes Auge einer. Wohin geht dieser Steamer, wenn es nötig ist?“
„Soweit er genug Wasser findet“, antwortete der Kapitän.
„Wir wollten an Bord und haben uns deshalb drüben am Ufer dieses Floß gebaut. Wollt Ihr uns aufnehmen?“
„Könnt Ihr Passage zahlen, Ma'am oder Sir? Ich weiß wirklich nicht, ob ich Euch als Mann oder als Frau heraufbefördern soll.“
„Als Tante, Sir. Ich bin nämlich Tante Droll, verstanden, wenn es nötig ist. Und was die Passage betrifft, so pflege ich mit gutem Geld, oder gar mit Nuggets zu bezahlen.“
„So sollt Ihr die Strickleiter hinunter haben. Kommt also an Bord! Wir müssen machen, daß wir von dieser unglückseligen Stelle fortkommen.“
Die Strickleiter wurde herabgelassen. Erst stieg der Knabe hinauf, der auch mit einem Gewehr bewaffnet war; dann warf der andre das Gewehr über, erhob sich, ergriff die Leiter, stieß das Floß unter sich fort und turnte sich mit einer eichkätzchenartigen Geschicklichkeit an das Deck, wo er mit großen, ungemein erstaunten Blicken empfangen wurde. –
ZWEITES KAPITEL
Die Tramps
„Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind trotz oder vielmehr infolge ihrer freisinnigen Institutionen der Herd ganz eigenartiger sozialer Landplagen, welche in einem europäischen Staat vollständig unmöglich sein würden.“
Der Kenner der dortigen Zustände wird zugeben, daß diese Behauptung eines neueren Geographen ihre guten Gründe habe. Man könnte die Plagen, von denen er spricht, in chronische und akute einteilen. In ersterer Beziehung wären vor allen Dingen die händelsuchenden Loafers und Rowdys, und sodann die sogenannten Runners, welche es vorzugsweise auf die Einwanderer abgesehen haben, zu nennen. Das Runner-, Loafer- und Rowdytum ist stabil geworden und wird, wie es allen Anschein hat, noch verschiedene Jahrzehnte überdauern. Anders ist es bei der zweiten Art der Plagen, welche sich schneller entwickeln und von kürzerer Dauer sind. Dahin gehörten die rechtlosen Zustände des fernen Westens, infolge deren sich förmliche Räuber- und Mörderbanden bildeten, welche Master Lynch nur durch das energischste Vorgehen zu vernichten vermochte. Ferner wären hier die Kuklures zu erwähnen, welche während des Bürgerkrieges und auch noch nach demselben ihr Wesen trieben. Zur schlimmsten und gefährlichsten Landplage aber entwickelten sich die Tramps als Vertreter des rohesten und brutalsten Vagabundentums.
Als zu einer gewissen Zeit ein schwerer Druck auf Handel und Wandel lag, Tausende von Fabriken stillstanden und Zehntausende von Arbeitern beschäftigungslos wurden, begaben sich die Arbeitslosen auf die Wanderung, welche vorzugsweise in westlicher Richtung erfolgte. Die am und jenseits des Mississippi liegenden Staaten wurden von ihnen
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