05 - Der Schatz im Silbersee
jeden Alters und Geschlechts, denn es sollte da der Schwimmkampf entschieden werden.
Als sie am Ufer anlangten, sah Old Shatterhand, daß er nicht falsch vermutet hatte; es gab eine bedeutende Strömung. Der See hatte beinahe die Gestalt einer Ellipse. Oben, an der einen Schmalseite, trat das Bergwasser ein und strömte erst der linken Lang-, dann der unteren Schmalseite entlang dem Ausfluß zu, welcher sich auf der rechten Langseite und gar nicht weit von dem Einfluß befand. Diese Strömung folgte also fast zu drei Vierteilen der Uferstrecke. Wenn sie für Davy benutzt werden konnte, war dieser vielleicht gerettet.
Die Frauen, Mädchen und Knaben verbreiteten sich weit am Ufer hin. Die Krieger ließen sich an der unteren Schmalseite nieder, denn dort sollte der Kampf beginnen. Aller Augen waren auf die beiden Interessenten gerichtet. Der ‚Rote Fisch‘ blickte stolz und selbstbewußt über das Wasser hin wie einer, welcher seiner Sache vollständig sicher ist. Auch Davy schien ruhig zu sein, aber er schluckte oft; sein Kehlkopf war in steter Bewegung. Wer ihn kannte, dem war das ein Zeichen innerer Erregung.
Endlich wendete sich der ‚Große Wolf‘ zu Old Shatterhand: „Denkst du, daß wir beginnen sollen?“
„Ja, aber wir kennen die näheren Bedingungen noch nicht“, antwortete der Gefragte.
„Die sollt ihr hören. Gerad hier vor mir steigen beide in das Wasser. Wenn ich mit einem Klatschen der Hände das Zeichen gebe, stoßen sie ab. Es wird einmal um den ganzen See geschwommen und die Schwimmer haben sich stets genau eine Manneslänge vom Ufer zu halten. Wer einbiegt, um den Weg zu kürzen, ist besiegt. Der, welcher zuerst hier ankommt, stößt den andern mit dem Messer nieder.“
„Gut! Aber nach welcher Seite schwimmen sie ab? Nach rechts oder links?“
„Links. Sie kehren dann von rechts her zurück.“
„Sollen sie nebeneinander schwimmen?“
„Natürlich!“
„Also mein Gefährte zur rechten und der ‚Rote Fisch‘ zur linken Hand?“
„Nein umgekehrt.“
„Warum?“
„Weil derjenige, welcher links schwimmt, dem Ufer näher ist und also den weitesten Weg zurückzulegen hat.“
„So ist es falsch und ungerecht, sie beide nach derselben Richtung gehen zu lassen. Du liebst nicht den Betrug und wirst zugeben, daß es richtiger ist, wenn sie nach verschiedenen Seiten abgehen. Der eine schwimmt von hier aus am rechten, der andre am linken Ufer hin; oben begegnen sie sich, und dann kehrt jeder am gegenseitigen Ufer zurück.“
„Du hast recht“, erklärte der Häuptling. „Aber welcher soll rechts, und welcher links?“
„Um auch hier gerecht zu sein, mag das Los entscheiden. Siehe, ich nehme hier zwei Grashalme auf, und die beiden Schwimmer wählen. Wer den längeren erhält, schwimmt nach links, wer den kürzeren, nach rechts.“
„Gut, so soll es sein. Howgh.“
Dieses letzte Wort wurde zu Davys Glück gesprochen, denn es zeigte an, daß an diesem Beschluß nichts zu ändern sei. Old Shatterhand hatte zwei Halme gepflückt, aber so, daß sie von genau gleicher Länge waren. Er trat zuerst zu dem ‚Roten Fisch‘ und ließ diesen wählen; dann gab er Davy seinen Halm, kniff aber einen Augenblick vorher ein kleines Stückchen davon ab. Die Halme wurden verglichen; Davy hatte den kürzeren und mußte also nach rechts. Sein Gegner zeigte sich darüber nicht im mindesten zornig; er schien jetzt noch gar keine Ahnung von dem Nachteil zu haben, in welchem er sich befand. Aber desto heller war Davys Gesicht geworden. Er musterte die Wasserfläche und raunte Old Shatterhand zu: „Ich weiß nicht, wie ich zu dem kleinen Halm gekommen bin; aber er rettet mich, denn ich hoffe, daß ich eher anlange. Die Strömung ist stark und wird ihm zu schaffen machen.“
Er warf seine Kleider ab und stellte sich in das hier seichte Wasser. Der ‚Rote Fisch‘ tat ebenso. Jetzt klatschte der Häuptling in die Hände – ein Sprung, beide befanden sich auf tieferer Stelle und ruderten auseinander, der Rote nach links und der Weiße längs des Ufers hin nach rechts.
„Davy, halte dich schtramm !“ rief der Hobble-Frank dem Freund nach.
Zunächst war kein großer Unterschied zwischen beiden zu bemerken. Der Indianer strich langsam aber weit und kraftvoll aus wie einer, welcher im Wasser zu Hause ist. Er blickte nur vor sich hin und hütete sich, sich nach dem Weißen umzusehen, weil er damit, wenn auch nur einen einzigen Augenblick, Zeit verloren hätte. Davy schwamm unruhiger,
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