0504 - Lorna, die Löwenfrau
konsterniert anschaute.
»Die im Kostüm?«
»Ja.«
»Die rannte hier entlang!« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter.
»Danke!«
»Ach so. Dann hat sie noch die Toilettentür aufgerissen. Sie muß dort sein.«
»Danke!« Der junge Anwalt rannte los. Zwar spürte er auch Furcht, seine Klientin hatte schließlich bewiesen, daß es ihr ernst war, aber er wollte sich Lorbeeren verdienen. Wenn es ihm gelang, die Frau zu stellen, kam er groß in der Presse heraus.
Die Toiletten lagen ziemlich weit hinten. Fast schon am Beginn der breiten Treppe. Sie hätte auch die Stufen nehmen können, um zu fliehen. Weshalb war sie auf die Toilette verschwunden?
Der Anwalt hatte die Damentoilette noch nie betreten. Jetzt mußte es sein.
Da flog ihm die Tür entgegen. Er konnte noch soeben zurückzucken. Aber nicht Lorna Delaney verließ den Raum, sondern eine völlig verstörte Frau, die an ihm vorbeirennen wollte.
Er hielt sie an der Schulter fest. »Haben Sie die blonde Frau gesehen?«
»Ja, ja…«
»Wo…?«
»Drin. Sie ist drin. Sie ist in einer Kabine. In der rechten, glaube ich.«
»Danke.«
Der Anwalt wollte gerade die Toilette betreten, als der Richter kam. Zwei Beamte begleiteten ihn. Sie waren bewaffnet. Die Mündungen ihrer Schießeisen wiesen gegen die Decke.
»Sir, lassen Sie mich mit ihr reden!«
»Gibt es da überhaupt noch etwas zu diskutieren?«
»Ich weiß, aber…«
»Mr. Duncan, ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Sie sich in Lebensgefahr begeben.«
»Ich weiß, aber es ist mein Leben. Geben Sie mir eine halbe Minute, mehr nicht.«
»Gut, wie Sie wollen.«
Duncan, der Anwalt, betrat den Vorraum der schmalen Toilette mit zitternden Knien. Ein Waschbecken, ein Spiegel darüber, gelbe Kacheln, die nur die Hälfte der Raumhöhe einnahmen, und zwei Türen, davon eine, die verschlossen war.
Dahinter mußte sich Lorna befinden.
Duncan machte nicht den Fehler, sich direkt vor die Tür zu stellen.
Er nahm seitlich davon Aufstellung und wußte auch nicht, ob ihn seine Klientin bereits gehört hatte.
»Lorna!« rief er. »Ich bin es, Ihr Anwalt!«
»Was willst du Versager hier?«
Es war eine Antwort, mit der er nicht gerechnet hatte, und sie schockierte ihn. Allerdings nicht die Worte, es war der Klang der Stimme, der ihm so bitter aufstieß.
Er hatte sie zwar als die seiner Klientin identifiziert, doch Lorna hatte mit einem rauhen Unterton gesprochen, als wäre sie in der letzten Zeit heiser geworden.
»Ich möchte, daß Sie aufgeben, Lorna!«
»Nein, Versager, ich gebe nicht auf. Aber verschwinde du! Geh weg, bevor es zu spät ist!«
»Wollen Sie schießen?«
Sie lachte nur. Diesmal hatte dieses Lachen etwas Fauchendes an sich, als würde sich jenseits der Tür ein gefährliches Raubtier verbergen. Der Anwalt wurde bleich und verstand die Welt nicht mehr.
Er wußte nicht, was er noch unternehmen sollte. Dieses Lachen hatte sich angehört, als wäre die Frau nicht allein in der Kabine.
Duncan kam sich dumm vor. Er stellte die Frage dennoch. »Sind Sie nicht mehr allein, Lorna?«
»Du merkst alles, Versager!«
»Wer ist bei Ihnen?«
Eine Erwiderung bekam er abermals nicht. Zudem war seine Sprechzeit, die ihm der Richter eingeräumt hatte, bald abgelaufen.
Da hörte er das Kratzen an der Tür.
Gleichzeitig vernahm er fauchende Geräusche. Dazwischen ein tiefes Stöhnen, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er konnte sich keinen Reim auf die Laute machen, war sich aber sicher, daß hinter der Tür etwas Unheimliches vorging.
Seine Zeit war um.
Die Tür zum Gang wurde aufgezogen. Die beiden Polizisten betraten mit schußbereiten Waffen den schmalen Raum. Dahinter sah Duncan die schmale Gestalt des Richters.
»Kommen Sie, Mr. Duncan.«
»Einen Moment noch!«
»Nein!«
Er rief trotzdem nach seiner Klientin. »Lorna, ich bitte Sie, machen Sie keinen Ärger. Sie kommen nicht raus. Auch durch das Fenster nicht. Wir liegen hier in der zweiten Etage. Sie werden einfach keine Chance bekommen.«
»Hau ab, Versager!«
Nur undeutlich vernahm Ab Duncan den Befehl. Er klang wie ein Fauchen. Dann schlug jemand von innen mit einer gewaltigen Kraft so hart gegen die Tür, daß sie im Rahmen erzitterte.
Einer der Polizisten packte den Anwalt an der Schulter und zog ihn zurück. »Das ist jetzt unsere Angelegenheit, Mr. Duncan!«
»Lorna, ich…«
Duncans weitere Worte gingen in einem infernalischen Krach unter, als die Tür von innen aufgerissen und dabei zerfetzt
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