0504 - Lorna, die Löwenfrau
wurde.
Holzsplitter wirbelten den Männern entgegen, die zurücksprangen.
Auch Duncan prallte gegen die Wand. Er wollte sich davon lösen, konnte es aber nicht. Auch die Polizisten gaben keinen einzigen Schuß ab. Zu groß war ihre Überraschung.
In der Türöffnung stand keine Frau mehr, dafür ein Raubtier.
Ein Löwe!
***
Es war ein prächtiges Tier mit einer gewaltigen Mähne. Die Augen funkelten in der gleichen Farbe wie bei Lorna. Das Maul war aufgerissen. Ein gefährliches Gebiß schimmerte gelblichweiß, und zwischen den Zähnen hing der Geifer.
Der Körper füllte fast den gesamten Toilettenraum aus. Die prächtige Mähne besaß die gleiche Farbe wie die Haare der Lorna Delaney. Das aus dem Maul dringende Fauchen drang den drei Männern entgegen wie ein Gebrüll aus der Hölle.
»Schießen!« schrie der Richter. »Verdammt, so schießen Sie doch endlich!«
Einer der Polizisten drückte ab. Die Kugel verschwand in der dichten Mähne, doch der Löwe zuckte nicht einmal zusammen. Dort, wo das Geschoß getroffen hatte, blitzte es für den Bruchteil einer Sekunde auf, das war die gesamte Reaktion.
Dann senkte der Löwe den Schädel und sprang plötzlich vor.
Keiner konnte ausweichen, es war einfach zu eng. Mit einem einzigen Prankenschlag erwischte das Tier die beiden Polizisten und holte sie von den Beinen. Die Ärmel der Uniformen wurden zerfetzt, Wunden wurden gerissen, aus denen das helle Blut quoll.
Der Anwalt riß die Arme hoch und schrie, weil er den nächsten Treffer erwartete, doch der Löwe dachte nicht daran. Er zog seinen mächtigen Körper zusammen und schaffte es tatsächlich, sich in dem schmalen Gefängnis umzudrehen.
Sekunden später zersplitterte eine Scheibe. Sie war gitterlos, noch nie hatte jemand versucht, aus dem Bau zu fliehen.
Bis auf diesen Löwen.
Der schaffte es mit einem gewaltigen Sprung, er blieb auch nicht in der Fensteröffnung hängen.
Dann war er nicht mehr zu sehen.
Zurück blieben zwei verletzte Polizisten und ein Anwalt, der nichts, aber auch gar nichts begriff…
***
Fragen waren wie ein Gewitterregen auf ihn hereingeprasselt, doch Ab Duncan hatte sie nicht beantworten können. Er wußte einfach zuwenig über seine Klientin, zudem stand er noch am Beginn seiner Karriere als Anwalt.
Man hatte ihn als Pflichtverteidiger genommen. Ab war über den Job froh gewesen, seine erste Chance vor Gericht wäre das gewesen, und seine Eltern hätten bestimmt stolz auf ihren Sohn sein können.
Es war alles anders gekommen, und das wurmte Duncan.
Der junge Anwalt hatte sich in sein Haus zurückgezogen, das er von seinen vermögenden Eltern geschenkt bekommen hatte. So manch hochverdienender Anwaltskollege hätte sich über dieses alte Penthouse gefreut, und auch Ab fühlte sich sehr wohl, nur eben an diesem Abend nicht. Noch immer dachte er an die zurückliegenden Stunden. Er hatte sein Jackett ausgezogen und es quer über die Couch geschleudert. Die Krawatte lag darüber, am Hemd standen die obersten drei Knöpfe offen, in der Hand hielt der Anwalt einen dreistöckigen Drink. Ein hartes Getränk aus Wodka und Martini.
Aber den Schluck brauchte er jetzt dringend.
Immer wieder dachte er an den Löwen. Er hatte das Tier auf der Toilette gesehen, und nicht nur er, es gab zahlreiche Zeugen. Eine Erklärung allerdings konnte ihm niemand geben.
Erst Mensch, dann Tier!
War es möglich, daß sich ein Mensch in ein Tier verwandelte?
Hatte Lorna Delaney das geschafft, was sonst nur in Märchen, Fabeln oder Legenden niedergeschrieben worden war?
Dies widersprach jeglicher Logik. Der Anwalt konnte auch nicht so recht daran glauben. Wenn es ihm jemand erzählt hätte, er hätte die Person ausgelacht, so aber mußte er seinen eigenen Augen trauen, obwohl er dies fast nicht konnte.
Duncan lümmelte sich auf die Couch und kippte den Drink weg.
Die beiden Flaschen standen in Reichweite, Duncan mixte sich den zweiten, da er der Meinung war, daß er auf einem Bein nicht stehen konnte.
Dann stand er auf. Auf dem weißen Teppich ging man wie auf bestem Grasboden.
Vor dem tief herabgezogenen Fenster blieb er stehen und starrte über Londons Dächer.
Der Lichtschein stieg wie ein dünner Schleier gegen den dunklen Himmel. Er war nicht nur hell, an manchen Stellen auch eingefärbt, wie bunte Grüße aus Kunstlicht.
Unter ihm lagen die Parks, die Häuser, die Vergnügungsstätten, aber auch die zahlreichen Straßen und Gassen der Millionenstadt.
Irgendwo mußte sie sich in dem
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