0514 - Der Schädeltempel
einem sehr langwierigen, komplizierten und erschöpfenden Prozeß aufeinander abstimmen - jedesmal aufs Neue. Ansonsten konnte es zu einer Katastrophe kommen.
Noch etwas war Zamorra aufgefallen. Isenbart hatte erwähnt, der Gavvroval habe ihm diesen Namen gegeben. Welche Rolle spielte dieses Flugechslein? Das Biest schien eine wichtigere Rolle zu spielen, als Zamorra bisher angenommen hatte. Der Bärtige, der Gavvroval und der Großonkel… wie paßten sie zusammen?
Es war an der Zeit, daß es auch mal Antworten auf die Fragen gab. Zamorra setzte sich in Bewegung und folgte dem »Großonkel«.
Quer durch die Wand, die ihm keinerlei Widerstand entgegensetzte.
***
»Raffael?« stieß Nicole ungläubig hervor. »Sind Sie es wirklich?«
»Ich bin so frei, Mademoiselle«, sagte der alte Diener und neigte grüßend den Kopf. »Wenngleich mir nicht ganz eingängig ist, aus welchem Grund wir uns in dieser befremdlichen Landschaft wiederfinden, und weshalb dieses Untier mich ›Retter dieser Welt‹ nennt - äh - das Biest kann sprechen?« Er machte einen entsetzten Sprung rückwärts und wäre gestürzt, wenn Nicole ihn nicht aufgefangen hätte.
»Natürlich kann ich sprechen!« kreischte der Gavvroval empört. »Wieso quasselt mich eigentlich jeder so entgeistert darauf an? Außerdem, du ignoranter Barbar, bin ich weder Tier noch Bestie, sondern ein Gavvroval! Genauer gesagt: der Gavvroval! Der schönste und beste von allen!«
»Hoffentlich gibt’s nicht allzuviele davon«, murmelte Nicole.
»Schändliches Weib!« geiferte der Gavvroval zornig. »Ich habe das gehört! Ich hab’s gehört, und ich merke mir das! Ich bin übrigens sehr nachtragend!«
Nicole wandte sich an die Hoffende. »Wie schmeckt so ein Gavvroval eigentlich! Womit würzt man ihn am besten?«
»Kannibalisches Monstrum!« keifte der Flugdrache und plusterte sich auf. »Ich warne dich! Ich habe soeben beschlossen, nicht nur nachtragend, sondern auch rachsüchtig zu sein!«
»Meinetwegen«, sagte Nicole. »Raffael, sind Sie in Ordnung? Wie sind Sie hierher gekommen?«
»Dieses Biest hat mich einfach verschlungen«, sagte der alte Mann. »Warum mich und nicht den Professor? Wenn ich richtig verstehe, daß in dieser Welt Hilfe gebraucht wird, dann bin ich dazu ganz bestimmt nicht geeignet.«
»Aber du hast die Prüfung bestanden!« protestierte der Gavvroval jetzt etwas ruhiger. »Du hast erkannt, worum es geht. Deshalb bist du hier.«
»Ich lehne es ab, von einem Tier geduzt zu werden!« bemerkte Raffael.
»Hach, dann werden wir eben eine Feldmaus auf unsere Brüderschaft fressen und sind dann die besten Freunde«, spektakelte der Gavvroval. »Das Problem ist nur, daß es hier keine Feldmäuse gibt. Jedenfalls bist du der Richtige, also mach dich an die Arbeit, diese Welt zu retten.«
»Das ist wirklich ein Mißverständnis«, beharrte Raffael mit mühsam verhaltenem Zorn.
Nicole griff ein. »Dieser Mann besitzt keine magischen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Da ist wohl was schiefgelaufen, wie?«
Die Hoffende machte große Augen.
Der Gavvroval stutzte. Dann sah er zu dem winzigen Bärtigen hinab, der bisher vergeblich versucht hatte, in seiner Winzig-Gestalt die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. In seiner früheren Größe war das weniger problematisch gewesen.
»Du Narr!« fauchte der Gavvroval und spie aus. Der Bärtige entging dem ekelhaften Sekret nur durch einen gewagten Weitsprung. Der getroffene Sand brodelte einige Sekunden lang und ließ ätzende Dämpfe aufsteigen. »Du hast ihn gewählt! Du bist schuld! Du hast gesagt, wir sollen ihn nehmen und nicht den anderen! Ich sollte dich auffressen!«
»Jetzt schlägt’s aber dreizehn!« polterte der Bärtige. »Du hast doch lauthals geschrien, wir hätten den Richtigen gefunden!«
Der Gavvroval hüpfte von der Hand der Braunhaarigen und setzte dem Bärtigen flügelschlagend nach, der durch den Sand davonraste wie ein Wiesel, das gerade im Hühnerstall aufgeräumt hat.
Die Hoffende senkte den Kopf. »Dann ist es also wieder nichts, und das andere wird abermals stärker… oder gibt es vielleicht doch noch eine Chance?« Sie drehte den gesenkten Kopf so, daß sie aus unterwürfiger Pose heraus Nicole ansehen konnte.
Die Französin schwieg. Sie hoffte, daß es irgendwann einmal eine Antwort auf ihre Fragen gab. Vorher wollte sie sich gegenüber den seltsamen Bewohnern dieser Welt nicht mehr äußern. Sie hatte es gründlich satt. Hoffentlich fand wenigstens Zamorra einen
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