0515 - Der mordende Wald
Zamorra.
Der Druide auch; er reagierte schneller. »Von wem redest du, Fremdling?« antwortete er in Latein.
»Von dem kleinen Mann, der bei uns war. Seine Haut ist schwärzer als die sternenlose Nacht.«
Der Druide zeigte wachsames Interesse. »Ich kenne keinen, der so aussieht.«
»Du warst doch dabei, als wir kamen«, sagte Zamorra. »Wir waren zu viert.«
»Nein«, sagte der Druide.
Zamorra glaubte ihm. Der Mann wirkte überzeugend. Was aber war dann mit dem Gnom geschehen? War er etwa als einziger in die richtige Zeit versetzt worden?
Sie brauchten ihn.
Ohne ihn kamen sie nicht mehr aus dieser Zeit weg.
Sicher würde er seinen Herrn vermissen - von Zamorra und Nicole wußte er vielleicht nicht einmal etwas.
Aber wo sollte der Gnom nach Cristofero suchen?
Im Château Montagne gab es Merlins Zeitringe.
Abgesehen davon, daß außer Zamorra wohl höchstens Merlin selbst oder allenfalls die Silbermond-Druiden sie benutzen konnten - niemand konnte ahnen, in welchem Zeitalter sich die Verschollenen befanden.
Es blieb dabei - ohne den Gnom waren sie verloren…
Zamorra straffte sich. Erst einmal mußte er zusehen, daß sie hier mit heiler Haut davonkamen. Er sah wieder Kendan an.
»Worauf wartest du? Öffnen und Fesseln lösen!« wiederholte er seine Anweisung.
Der Helvetier sah den Druiden an, dann führte er den Befehl aus.
Aber inzwischen waren auch andere auf das Geschehen aufmerksam geworden…
***
Der Gnom schleppte sich durch den Wald. Er hätte über die Dummheit der Römer lachen können, wenn da nicht die furchtbaren Schmerzen gewesen wären. Die Wunde blutete wieder. Der notdürftige Druckverband, mit dem der Schwarzhäutige versucht hatte, die Blutung zu stillen, hielt nicht richtig, und die Anstrengung der Flucht ließ nicht zu, daß die Wundränder sich wieder berührten und unter dem Schutz einer trockenen Blutkruste miteinander verwuchsen. Der Gnom ahnte, daß er sterben würde, wenn er niemanden fand, der die Verletzung behandelte. Er selbst konnte es nicht. Er kannte Hunderte, Tausende von Zaubersprüchen, aber nicht einen einzigen, der Pfeilwunden schloß. Das Geschoß des Römers hatte seine Hüfte glatt durchschlagen, und der nicht enden wollende Schmerz bei jeder Bewegung deutete darauf hin, daß auch der Knochen verletzt war. Außerdem schien der Pfeil unsauber gewesen zu sein.
Mit einer gehörigen Portion Selbstüberwindung hatte der Gnom die Pfeilspitze abgebrochen und den Schaft aus der Wunde gezogen, um dann den Notverband anzulegen. Aber er mußte sich auf seiner Flucht hastig bewegen, und das hielt der Stoff nicht aus; er verrutschte immer wieder, oder der Knoten lockerte sich. Doch der Gnom wollte sich nicht wieder einfangen lassen. Die Römer würden ihm bestimmt nicht helfen. Sie würden ihn höchstens töten, wenn seine Schmerzen zu stark wurden.
Die Römer hatten die Verfolgung aufgegeben, als sie seine Spur nicht mehr fanden. Er hatte Glück gehabt, daß die Wunde zunächst nicht mehr geblutet hatte. Er war einfach mit sehr weiten Schritten zum nächsten Baum geeilt, hatte das Gras der wenigen Fußberührungen nach jedem Schritt wieder hinter sich aufgerichtet, und war dann auf den Baum geklettert. Vorsichtshalber hatte er sich in den Laubkronen fortbewegt, bis er einen gebührenden Abstand hatte, aber später erkannte er, daß er gar nicht Eichhörnchen hätte spielen müssen. Die beiden Römer, die ihn verfolgten und offenbar nicht von dem verzauberten Wein getrunken hatten, sahen nicht einmal nach oben! Sie suchten die Spur des Namenlosen nur auf dem Boden.
Er war froh über die Dunkelheit, die seine Fluchtbemühungen geschützt hatte; kein Stern leuchtete, alles war schwarz. Er jedoch sah selbst bei dieser Finsternis so gut wie eine Katze, aber das brauchte niemand außer ihm zu wissen.
Endlich gönnte er sich eine kleine Ruhepause. In der Wunde pochte und zerrte es. Ein Fieberschauer durchlief den verkrümmten Körper des kleinen Mannes.
Er mußte einen Heiler finden.
Aber wo in diesem weiten, wilden Land?
Salzige Tränen rannen über sein Gesicht. Wenn doch wenigstens sein Gebieter hier wäre. Sein stets schimpfender, polternder, großer Freund. Vielleicht würde ihm das Sterben dann leichter fallen.
Aber er war allein.
***
Zamorra spürte Unbehagen, als die anderen Helvetier sich näherten. Vermutlich hielt sie tatsächlich nur die Schwertspitze zurück, mit der er den Druiden auf den Boden drückte. Mißmutig öffnete Kendan die Käfige, zerrte die
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