052 - Großfuß
seinen früheren Besuchen diese Erfahrung gemacht. Aber Elfa konnte nur verwundert staunen, als die Frau den Raum mit steifen Schritten verließ und ihre schlechte Laune in jeder Weise zum Ausdruck brachte.
Cardew war es sehr peinlich.
»Ich fürchte, Hanna schätzt unseren Freund nicht; das ist mir sehr unangenehm.«
Er schaute auf Ferraby, als ob der ihn unterstützen sollte.
»Es gibt nur wenige Hausdamen, die es gerne sehen, wenn man ihre Pläne durchkreuzt«, sagte Jim vermittelnd.
Nach fünf weiteren ungemütlichen Minuten erschien Hanna wieder in der Tür.
»Wie lange sollen wir noch warten, Mr. Cardew?« fragte sie unwirsch.
»Wir gehen jetzt zu Tisch, Hanna«, sagte Cardew, nachdem er schnell auf seine Uhr gesehen hatte. »Ich nehme nicht an, daß unser Freund noch kommt.«
Elfa saß neben Ferraby an dem runden Tisch. An ihrer anderen Seite stand der leere Stuhl, der für Oberinspektor Minter bestimmt war.
»Der arme Mr. Cardew«, sagte sie leise.
Jim grinste, aber ein Blick auf das Gesicht Hanna Shaws, die ihm direkt gegenübersaß, ließ sein Lächeln verschwinden. Sie schaute das Mädchen mit einem so bösen Blick an, daß ihm der Atem stockte. Als die Suppenteller abgetragen wurden, kam der verspätete Gast.
Super kleidete sich niemals elegant, Jim hatte den Eindruck, daß ihm die schlechtsitzenden Anzüge von einem längst verstorbenen Verwandten vererbt oder daß sie möglicherweise von einem Kellner erworben waren, der sie im Restaurant nicht mehr tragen konnte.
»Es tut mir sehr leid, meine Damen und Herren«, entschuldigte er sich und sah sich in der Gesellschaft um.
»Ich esse sonst niemals auswärts, und gerade, als ich mich zu Bett legen wollte, erinnerte ich mich an Ihre liebenswürdige Einladung. Guten Abend, Miss Shaw!«
Hanna hob langsam ihren Bück und sah ihn voll an.
»Guten Abend, Oberinspektor!« sagte sie eisig.
»Wir haben schönes Wetter; so warm war es noch nie in dieser Jahreszeit. Ich könnte mich wenigstens nicht darauf besinnen.«
Elfa sah den gestrengen Super zum erstenmal und fühlte unwillkürlich eine Zuneigung zu diesem alten Mann in seinem abgetragenen Frack. Sein Hemd war altmodisch, und zwei Rostflecke auf dem Einsatz machten es unansehnlich. Die Krawatte hatte sich verschoben. Aber seine Haltung war die eines Aristokraten.
»Er ist prachtvoll ... Ist das der Oberinspektor?« fragte sie, als Supers Aufmerksamkeit durch ein Gespräch mit seinem Gastgeber abgelenkt wurde.
»Ja, er ist der König aller Detektive in Europa. Hören Sie mal zu, jetzt hat er Cardew wieder zum besten.«
»Ich gehe höchst selten unter Menschen«, bemerkte Super. »Mir scheint, daß ich zu wenig gesellschaftlich veranlagt bin, als daß man mich einlädt. Ich kann nicht ein Messer vom anderen unterscheiden, und meistens nehme ich das falsche Bierglas. Das ist es ja gerade, wo es bei uns Polizeibeamten fehlt - keine Manieren. Ich sagte noch heute nachmittag zu meinem Sergeanten: ›Wir haben nicht genügend vornehme Amateure bei uns - was wir brauchen, sind Leute, die einen Frack tragen können, ohne daß es aussieht, als ob sie auf einen Maskenball gingen.‹«
Mr. Cardew schaute argwöhnisch auf seinen Gast.
»Die Polizei hat ihre festumschriebenen Aufgaben«, sagte er etwas steif. »Der einzige Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen, mein lieber Oberinspektor, ist, daß gewisse Fälle feinere Untersuchungsformen oder mehr Verstand und eine weitgehendere Anwendung der Psychologie erfordern.«
»Das ist sicherlich nötig«, sagte Elson, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, lehnte sich vor und nickte stark mit dem Kopf. »Das ist es, was den Leuten fehlt ...« Plötzlich hielt er inne, denn er hatte einen Blick von Hanna aufgefangen, und Jim Ferraby, der es beobachtete, sah, wie sie ihn warnte.
»Psychologie ist sicher sehr wertvoll«, stimmte Super bei. »Das ist ja gerade das, was wir brauchen. Jeder junge Beamte müßte darin unterrichtet werden. Nächst Anthropologie ist Psychologie das Wichtigste. Aber ich muß sagen, daß auch gute Beobachtungsgabe nicht zu verachten ist. Ich bin etwas kurzsichtig beim Lesen, aber ich kann eine Million Meilen weit sehen. Lassen Sie die Jalousien nie herunterziehen, Mr. Cardew?«
Die großen Bogenfenster des Speisesaals waren unten nur mit durchsichtigen Gardinen bedeckt. Die große Rasenfläche draußen lag im Dämmerlicht, und die Ahornbäume am Ende des Gartens zeichneten sich in schwarzen Umrissen von dem tiefblauen Himmel ab.
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