0520 - Das blaue Einhorn
Sprung seitwärts. Die Rotgekleidete folgte ihm, vom eigenen Schwung getragen, und war dadurch für einen winzigen Moment genau in der Flugbahn des Amuletts, zwischen ihm und Stygia.
Das Amulett traf die Fremde.
Ein gellender, mentaler Schrei hallte durch Zamorras Unterbewußtsein, eher vor unbändigem Zorn als vor Schmerz, und er konnte nicht sagen, ob es das Amulett war, das diesen Telepathieschrei von sich gab, oder diese andere Wesenheit, in der er die geheimnisvolle Shirona zu erkennen glaubte.
Shirona stürzte, das Amulett fiel zu Boden. Julian rollte sich aus der Reichweite Shironas; er bewegte sich, als sei er verletzt. Stygia verlor ihre Starre, sie duckte sich leicht, blickte nach oben, sah Zamorra - und warf sich vorwärts, mit beiden Händen nach dem am Boden liegenden Amulett greifend. Etwas leuchtete funkensprühend auf.
Amulett, Shirona und Stygia waren verschwunden. Fort, wie ausgelöscht.
Nur Julian lag noch da. Er schien nicht so ganz zu realisieren, was geschehen war.
Bis Zamorra sich ihm bemerkbar machte.
***
Das WERDENDE war erschüttert. Immer wieder Zamorra! Immer wieder Merlins Stern! Wie kam der Dämonenjäger überhaupt in Julians Traum?
Das WERDENDE hatte die Inkarnation Shirona aufgelöst. Die Berührung mit dem 7. Amulett war mehr als nur unangenehm gewesen. Das WERDENDE empfand unbändigen Zorn auf Zamorra. Hatte das sein müssen? Begriff er nicht, was er dem WERDENDEN antat? Es war schon schlimm genug gewesen, die beiden Amulettberührungen in der Gestalt Nicoles und Julians überstehen zu müssen. Und jetzt auch noch dieser fatale Wurf!
Als ob die Demütigung durch den Träumer nicht schon genug gewesen wäre! Julian hatte dem WERDENDEN seine Grenzen gezeigt. Im nachhinein betrachtet, hatte ES sich nicht gerade rühmlich verhalten. Aber die Herausforderung - und schon allein die Tatsache, daß der Träumer überhaupt existierte, war eine Herausforderung - hatte ES blindwütig gemacht. Zum Schluß dann auch noch diese furchtbare Herabsetzung, der Erschaffer habe ES nicht genug Stärke gegeben…
»Aber dem anderen«, schäumte ES zornig. »Ihm wurde die Macht geschenkt, die ich mir erst erarbeiten muß…«
Ihm und Zamorra. Der Dämonenjäger war drauf und dran, sich einen neuen Todfeind zu schaffen.
Aber vorerst zog das WERDENDE sich zurück. ES mußte über die Fehler nachdenken, die ES begangen hatte, um sie beim nächsten Mal zu vermeiden.
***
So wie Shirona verschwunden war, war auch Merlins Stern geflohen - und hatte dabei Stygia mitgerissen, die sich gerade an ihm festklammerte, um es für sich zu gewinnen. Das Amulett-Bewußtsein, durch die Berührung mit Shirona nicht minder geschockt und erzürnt als die Inkarnation des WERDENDEN, war in die reale Welt geflohen - und zornig auf den Menschen Zamorra, der Merlins Stern nach Shirona geworfen hatte, obgleich das Amulett-Bewußtsein ihm deutlich gemacht hatte, daß es wünschte, aus dieser Angelegenheit herausgehalten zu werden.
Hatte Zamorra die Zusammenhänge immer noch nicht erfaßt? Oder war es einfach nur blinde Ignoranz?
So oder so - das Amulett-Bewußtsein verspürte Wut und Ablehnung.
Stygia war völlig verwirrt. Den überraschenden Wechsel zurück in die Realität verkraftet sie nicht so schnell. Sie fand sich in Mostaches Wirtsstube wieder, sah Zamorras Amulett vor sich liegen. Was auch immer geschehen war, Merlins Stern war ihr immer noch zum Greifen nah. Also streckte sie abermals die Krallen aus - und verbrannte sich die Finger.
Ein wilder, zorniger Schlag magischer Energie flammte auf und schleuderte sie zurück. AUCH DU WIRST MICH IN RUHE LASSEN! tobte ein telepathischer Wutschrei in der Fürstin der Finsternis auf. NIEMAND BERÜRHT MICH MEHR GEGEN MEINEN WILLEN!
Stygia trat die Flucht an und kehrte zurück in die Schwefelklüfte. Sie war zu schwach zum Kämpfen.
Vielleicht rettete ihr das das Leben. Denn der wenig später eintreffende Zamorra hätte sie in ihrem verwitterten Zustand vermutlich spielend leicht auslöschen können.
Aber er kam etwas zu spät.
***
Für Julian war es ein Traumschiff gewesen, zu Zamorra auf den Felsen hinauf zu gelangen, aber mit den richtigen Schritten haperte es noch. »Du bist verletzt«, stellte Zamorra besorgt fest.
»Nicht der Rede wert«, gab der Träumer zurück. »Nur ein bißchen verknackst, das vergeht wieder. Aber von dir möchte ich wissen, wie zum Teufel du es geschafft hast, in meinen Traum zu gelangen, ohne daß ich darauf Einfluß
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