054 - Gucumatz der Allmächtige
betreffen. Gregory Beale war Idealist! Er glaubte, mit ein wenig Bemühen und mit Geld ließen sich die schlimmsten Schwären der Gesellschaft heilen. Er fühlte sich am wohlsten, wenn er unter diesem oder jenem angenommenen Namen mitten unter den Armen lebte, ihnen, ohne daß sie davon erfuhren, Hilfe leistete. Es ist unglaublich, aber wahr, daß Beale in den Armenvierteln im Osten und Südosten Londons riesige Summen ausgab, ohne daß diejenigen, die davon profitierten, wußten, wer ihr Wohltäter war. Gemeinsam mit dem verstorbenen Architekten Walber erbaute er Jugendheime und Klubs für Jugendliche, sogar einen ganzen Wohnblock. Er plante die Errichtung einer vollkommenen Wohnsiedlung, als ein schrecklicher Schicksalsschlag ihn traf.
Es war natürlich nicht zu erwarten, daß das Wirken dieses Harun-al-Raschid im Osten Londons unbemerkt bleiben würde. Die Presse, immer auf der Jagd nach Neuigkeiten, setzte alle Hebel in Bewegung, um den unbekannten Menschenfreund zu identifizieren.
Aber ihre Nachforschungen fruchteten nichts. Durch eine frühere Erfahrung gewarnt, wo man ihm über einen Spendenscheck auf die Spur gekommen war, verteilte Beale seine Almosen nur noch in klingender Münze. Er pflegte große Summen von seiner Bank abzuheben und in einem Tresorfach aufzubewahren.
Wie der Leser wahrscheinlich weiß, braucht man zum Öffnen eines Tresorfachs den Schlüssel und ein Kennwort. Beale wählte das Wort ›Gucumatz‹, was soviel heißt wie gefiederte Schlange. Er und die gefiederte Schlange war für ihn das Symbol der Schöpfung, von Wohltätigkeit und Güte. Unter dem Namen William Lane mietete er ein Tresorfach. Dort hinterlegte er amerikanische Banknoten im Wert von 7oo ooo Dollar. Er plante, eine gewaltige Wohnsiedlung zu bauen gewaltig für Londoner Verhältnisse -, und wollte sich hinter der Maske eines amerikanischen Millionärs verstecken. Die in geheimer Zusammenarbeit mit seinem Freund entworfenen Pläne waren fertig, als sich die abscheuliche Geschichte ereignete, in deren Folge Beale ins Gefängnis wanderte.
Im Rahmen seines Wirkens begegnete er einem gewissen Lewston, der sich später Leicester Crewe nannte, und seiner verheirateten Schwester Ella Farmster, deren Mann vorbestraft war und zu jener Zeit in Tidal Basin unter dem Namen Farmer eine Gastwirtschaft führte. Farmer lebte nicht mit seiner Frau zusammen. Das Ehepaar hatte Streit gehabt, aber selbst nach der Versöhnung hielt es Lewston, den ich Crewe nennen will, für besser, wenn sie so taten, als hätten sie nichts miteinander zu schaffen. Crewe plante nämlich ein ehrgeiziges Projekt: die Errichtung einer kleinen Druckerei zur Herstellung falscher französischer Banknoten. Er legte sein gesamtes Kapital in Maschinen an, die heimlich in ein Haus in der Straße gebracht wurden, wo Joe Farmers Kneipe war. Mit einiger Mühe machte Crewe Paula Ricks ausfindig, die Tochter des berüchtigten Fälschers, die in einer französischen Provinzstadt ein kärgliches Leben fristete. Er holte sie nach England, wo sie die Druckerplatten herstellte, und das ›Geschäft‹ war eben angelaufen, als Gregory Beale Crewe und dessen Schwester kennenlernte.
Crewe gab sich als kleiner Vertreter aus. Er lebte nicht auf großem Fuß, aber doch recht anständig. Beale war beeindruckt und dann begeistert, als Crewe, der vorher mit Schläue aus ihm herausgekitzelt hatte, was für eine Lebensgeschichte er hören wollte, von seinen angeblichen Kämpfen und Versuchungen erzählte, von den kleinen Schandtaten, zu denen er sich hatte hinreißen lassen. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Beale pflegte Crewe, den er als angenehmen Gesellschafter schätzte, abends aufzusuchen, und verliebte sich in dessen Schwester. Wenn die Liebe einen Mann in mittleren Jahren überfällt, schlägt sie tiefe Wurzeln. In den Augen des verliebten Idealisten war Ella Creed, von der wir eine Verleumdungsklage weder erwarten noch fürchten, die schönste Frau auf Gottes Erdboden. Sie war eine hervorragende Schauspielerin, spürte genau, was er wünschte, und verhielt sich entsprechend. Was Beale eigentlich im East End Londons zu tun hatte, war ihnen schleierhaft, und er verriet ihnen nicht, daß er der unbekannte Philanthrop war. Sie vermuteten aber, daß er nicht ganz unvermögend war, und sagten sich, wie Ella Creed mir gestern abend berichtete, daß er ihnen bei dem Geschäft, das sie aufziehen wollten, nützlich sein könnte. ›Wir dachten‹, sagte sie, ›wir könnten ihm die
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