054 - Gucumatz der Allmächtige
Bühnen- zum Abend-Makeup zu. Als Ella hinter dem seidenen Vorhang der Umkleidenische verschwand, hörte er mehrfach scharfe Worte der Zurechtweisung und Ungeduld. Ella schien nicht gerade glänzender Stimmung zu sein. Ihre Launen ließen ihn freilich kalt. Es gab überhaupt kaum etwas, das die Gelassenheit des erfolgreichen Börsenspekulanten erschüttern konnte; an diesem Morgen allerdings war etwas geschehen, das ihn merklich aus der Ruhe gebracht hatte.
Als Ella hinter dem Vorhang hervortrat, trug sie ein flammend rotes Abendkleid, um den Hals eine Perlenschnur und am Ausschnitt eine Smaragdbrosche, die ein kleines Vermögen wert gewesen wäre, wenn die Steine echt gewesen wären.
»Behängt wie ein Christbaum«, bemerkte Crewe, als die Garderobieren sich eilig verzogen hatten. »Du bist verrückt, mit dem ganzen Plunder unter die Leute zu gehen -«
»Talmi«, unterbrach sie ihn lässig. »Du glaubst doch nicht, ich würde mit Schmuck im Wert von zwanzigtausend Pfund durch die Gegend laufen! Aber was willst du hier?« fragte sie brüsk.
Er ignorierte die Frage und sagte statt dessen mit einem Lächeln: »Wer ist denn das unschuldige Opfer?«
»Ein junger Kerl aus den Midlands; sein Vater hat ungefähr zehn Fabriken oder so was. Die Leute sind so reich, daß sie nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen. Aber nun sag schon, was willst du von mir, Billy? Mein Verehrer wird gleich kommen.«
Leicester Crewe nahm eine Brieftasche heraus, der er eine Karte entnahm. Sie hatte die Größe einer Visitenkarte und trug keinen Namen. In der Mitte der Karte, rot aufgedruckt, war ein merkwürdiges Zeichen - die Abbildung einer gefiederten Schlange. Darunter standen die Worte: »Damit ihr nicht vergeßt.«
»Was soll das sein - ein Rätsel?« fragte sie mit hochgezogenen Brauen. »Was ist das - eine Schlange mit Federn?«
Crewe nickte. »Die erste kam vor einer Woche per Post - diese hier kam heute morgen. Ich fand sie auf der Frisierkommode, als ich aufstand.«
Sie starrte ihn verwundert an.
»Und was ist es? - Reklame?« fragte sie neugierig.
Crewe schüttelte den Kopf. »Damit ihr nicht vergeßt«, las er laut. »Ich hab den Eindruck, daß das eine Warnung sein soll oder hast du mir das Ding vielleicht aus Jux geschickt?«
»Ich?« rief sie wegwerfend. »Wofür hältst du mich? Glaubst du, ich hätte nichts Besseres zu tun, als anderen Leuten Streiche zu spielen? Was meinst du überhaupt mit ›Warnung‹?«
Crewe kratzte sich gedankenvoll am Kinn.
»Ich weiß auch nicht - irgendwie bin ich erschrocken... «
Ella lachte schrill. »Und deshalb bist du hergekommen? Also wirklich, Billy, zisch jetzt ab! Ich will mich gleich mit diesem Jungen treffen -«
Ella brach abrupt ab. Sie hatte ihr goldenes Täschchen geöffnet, um ihr Taschentuch herauszuholen, und er sah, wie ihr Gesicht sich veränderte. Als sie die Hand aus der Tasche nahm, hielt sie eine kleine Karte - eine Karte wie die, die er ihr gezeigt hatte.
»Was soll das?« fragte sie ärgerlich.
Crewe riß ihr die Karte aus den Fingern. Sie trug das Zeichen der gefiederten Schlange und darunter nur die kurze Warnung.
»Als ich ins Theater kam, war sie noch nicht in der Tasche«, sagte Ella zornig und läutete. »Wer hat mir das in die Tasche gesteckt?« fragte sie, als eine der Garderobieren kam. »Los, los - ich möchte wissen, wer der Witzbold ist. Sonst fliegen Sie beide heute abend noch raus. «
Die Garderobiere beteuerte ihre Unschuld, und auch die andere Frau, die herbeigerufen wurde, hatte keine Erklärung anzubieten.
»Ich kann sie nicht rauswerfen, weil ich sie brauche«, sagte Ella, als die beiden Frauen gegangen waren. »Außerdem wäre es blöd, wegen so einer Geschichte gleich den Kopf zu verlieren. Wahrscheinlich ist es eine Reklame für einen neuen Film, und in der nächsten Woche sehen wir überall in London die Plakate. Billy, mein Verehrer wartet. « Mit einem affektierten Abschiedsgruß ging sie.
Sie soupierte im Café de Reims, einem Nachtklub, der in London gerade der letzte Schrei war. Der langweilige junge Textilfabrikant wollte sie um zwei nach Hause bringen, aber Ella, die einen etwas verqueren Sinn für Wohlanständigkeit hatte, lehnte seine Begleitung ab. Sie fuhr allein zu dem schönen, kleinen Haus in St. John's Wood, das man wie die meisten seiner Nachbarn durch eine Pforte in einer Gartenmauer betrat. Dahinter führte ein glasüberdachter Weg zur eigentlichen Haustür.
Sie wünschte dem Chauffeur gute Nacht,
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