0540 - Der Vampir, die Mörderin und ich
aber diese winzige Ablenkung hatte sie wertvolle Zehntelsekunden gekostet.
Ich flog vor.
Wir prallten zusammen, und trotzdem gelang es ihr noch, den Pfeil zu schleudern. Er berührte, aber er verletzte mich nicht, denn er jagte durch mein Haar.
Rena brüllte vor Zorn. Sie kippte zurück, weil ich sie mit dem Kopf in der Körpermitte erwischt hatte. Im nächsten Augenblick stolperte sie über die Kante der Platte. Ich rechnete eigentlich damit, daß sie fallen würde, doch mit einer Reflexbewegung griff sie zu und bekam eine der Ketten zu fassen.
Mit ihr zusammen schwang sie zurück. Mein Schlag donnerte ins Leere. Dafür schwang sie wieder vor. Die Beine hatte sie angezogen.
Mit einer Hand hielt sie sich nur fest, die andere tastete zum Gürtel, um einen ihrer tödlichen Pfeile hervorzuholen.
Ich war schneller.
Mein Schlag schüttelte sie durch. Die Kette geriet in kreiselnde Bewegungen, und sie schaffte es auch nicht, sich länger mit einer Hand festzuhalten.
Kraftlos rutschte sie an der Kette nach unten, noch verzweifelt bemüht, sich halten zu können.
Der Treffer war einfach zu hart gewesen. Ich hörte sie ächzen, ihr Gesicht war in einer immensen Anstrengung verzogen, und wie in Trance suchte sie ihre Pfeile.
Ich riß das Killer-Girl von der Kette, hebelte ihren Arm herum, nahm sie in den Polizeigriff und zwang sie in die Knie. Als sie den Boden berührte, hatte ich bereits die Handschellen losgehakt und schmiedete sie um ihre Gelenke.
»Eins ist sicher, Rena Peel: Sie werden bis zu Ihrem Lebensende aus der Zelle nicht mehr herauskommen.«
»Sei verflucht, du Hund!« keuchte sie.
Ich ließ sie los. Rena fiel zu Boden, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Sie starrte mich an.
Plötzlich heulte sie wie ein Schloßhund…
***
Ein Mann ging die Treppe hinab, so naß, als wäre er unter der Dusche hervorgesprungen. Nur hatte Suko seine Kleider anbehalten. Erklärungen brauchte er nicht zu geben, auch ich hörte das Rauschen des Regens und sah, wie lange Schleier in die viereckige Öffnung fielen und die Treppe näßten.
Mir kam es vor, als wäre der Regen dabei, all den Schrecken, den diese Mauern »erlebt« hatten, abzuwaschen.
Mein Freund sah Rena, nickte mir zu und sagte nur: »Gratuliere, daß du es geschafft hast, sie am Leben zu lassen.«
»Das war mir wichtig. Und der Vampir?«
Suko lächelte plötzlich. Ich hatte mich sowieso darüber gewundert, daß er die Hände zusammengelegt hatte. Jetzt öffnete er sie.
Staub rieselte als Fahne dem Boden entgegen. »Das ist zurückgeblieben«, sagte er, »und dazu ein paar Lumpen.«
»Gut gemacht.«
»Nicht ich, es war das Silber.«
Der Worte waren genug gewechselt. Rena würde uns bestimmt noch einiges zu erzählen haben. Ich bückte mich, zerrte sie hoch, und sie wurde wieder zu einer Furie, spuckte, trat, bis ich ihr auf meine besondere Art und Weise ins Gewissen redete.
Da wurde sie ruhiger.
Gemeinsam schleppten wir sie nach oben, hinein in den Regen und das Gewitter.
Suko schimpfte wieder, weil er naß wurde. Ich aber stülpte die Kapuze über den Kopf. »Du wolltest doch wissen, weshalb ich den Umhang angezogen habe. Jetzt siehst du es. Der schützt sogar gegen die Nässe von oben.«
»Hör auf!« sagte Suko und rannte vor, um als erster unseren Rover zu erreichen.
»Verdammt!« fluchte Rena, »Ich hätte euch gleich in London killen sollen, euch beide…«
»Sie kennen doch das Sprichwort: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.«
Dann zog ich sie hinein in den Regen und kümmerte mich nicht um die wilden Flüche der Mörderin…
ENDE
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