0555 - Verrat der Götter
Blitzschnell wirbelte Zamorra herum, ließ sich zu Boden fallen. Und noch im Fallen reckte er die Arme hoch, zog dabei die Hände so weit wie eben möglich auseinander. Das wuchtig geführte Schwert hieb genau auf die Kette, die die beiden eisernen Handschellen miteinander verband. Funken sprühten. Metall kreischte und knackte, und Eisenspäne flogen durch die Luft. Einer traf Zamorras rechten Oberarm.
Der Schwerthieb hatte die Kette nicht völlig durchtrennt, aber damit hatte Zamorra auch nicht gerechnet. Viel wichtiger war, daß er mit einfedernden Ellenbogen den Schwung des Hiebes abbrermsen konnte - und die flache Klinge zwischen seine Arme bekam!
Jetzt mußte er alles riskieren!
Auf dem Boden liegend, drehte er sich und preßte die flache Klinge damit zur Seite. Zugleich bekam er mit den Händen die Parierstange zu fassen.
Kreischend sägte das schartig gewordene Schwert an der Kette entlang. Viel fehlte nicht, und Zamorras Kopf hätte dennoch mit der tödlichen Klinge Bekanntschaft gemacht.
Aber er hatte Glück.
Er riß dem Wächter die Waffe aus der Hand!
Der in Leder gekleidete Mann stürzte neben Zamorra zu Boden. Der schnellte sich wieder hoch. Ehe der Wächter begriff, was geschah, trafen ihn Zamorras Fäuste.
Er verdrehte die Augen, versuchte sich noch einmal aufzubäumen.
Und verlor die Besinnung.
Zamorra kam wieder ganz auf die Beine, das Schwert in beiden Händen. Wachsam kreiselte er herum.
Waren da nicht Schritte? Ledersohlen auf hartem Lehmboden?
Außer dem Mann, der Zamorra fast enthauptet hätte, mußten noch andere auf seinen Fluchtversuch aufmerksam geworden sein. Jetzt kamen sie heran, um ihn aufzuhalten.
Zamorra konnte keinen Kampf gegen eine ganze Horde wilder Schwertschwinger riskieren. Gegen seinen ersten Gegner hatte er einfach Glück gehabt. Der Wächter hatte nicht damit gerechnet, daß ihm ein nackter Mann, der noch dazu an den Händen gefesselt war, tatsächlich Widerstand entgegensetzen konnte!
Zamorra sah sich um. Der Bretterschuppen, in dem er gefangengehalten worden war, stellte nur einen von einer ganzen Reihe solcher Verschläge dar. Befand sich in einem von ihnen vielleicht auch seine Gefährtin Nicole Duval?
Aber er hatte nach ihr gerufen und keine Antwort erhalten. Überhaupt keine Antwort auch nicht von anderen Gefangenen.
Sollten alle anderen Bretterverschläge etwa leer sein?
Wo Zamorra einige Bretter seines Verschlages hatte lösen können, gab es zwei Querbalken, die die gesamte Konstruktion zusammenhielten.
Ohne das Schwert loszulassen, zog sich Zamorra an den Querbalken empor. Er turnte geschickt auf das Dach des hölzernen Gefängnisses.
Er war gerade in luftiger Höhe entschwunden, als unten Kameraden des niedergeschlagenen Wächters auftauchten. Hätte einer von ihnen in diesem Moment nach oben geschaut, hätte er noch sehen müssen, wie Zamorra seine Beine über die Dachkante zog.
Rufe ertönten. Die Männer suchten nach dem verschwundenen Gefangenen. Einer hatte eine Laterne dabei, die gleichmäßiges Licht verströmte. Damit leuchtete er auch das Innere des Vorschlages aus.
Keiner konnte sich erklären, wie der Sklave entfliehen konnte. Der Hof endete hier und war ringsum von einer hohen Steinmauer umgeben. Deren Wandung war so glatt, daß selbst der geübteste Kletterer sich nicht mit Finger- und Zehennägeln in winzigen Fugen festzukrallen vermochte.
Jeden Moment mußten die Sklavenjäger auf den richtigen Gedanken kommen, nämlich, daß der Gefangene sich aufs Dach gerettet hatte. Also konnte Zamorra hier nicht bleiben.
Es brachte jedoch auch nichts, auf dem Bretterdach zu einer anderen Stelle des ›Zellentraktes‹ zu laufen. Es gab nur eine Möglichkeit: versuchen, mit einem weiten Sprung die Mauerkrone zu erreichen und sich auf der anderen Seite nach unten fallen zu lassen.
Die Rufe hatten inzwischen noch mehr Sklavenjäger alarmiert. Wie schnell sie reagieren konnten, hatten ein paar von ihnen bei Zamorras und Nicoles Ankunft in der Straße der Götter unter Beweis gestellt. Blitzartig hatten sie ihnen bei ihrem Erscheinen die Sklavenkragen angelegt, noch ehe die beiden Neuankömmlinge sich überhaupt hatten orientieren können. Bis zu diesem Moment wußte Zamorra immer noch nicht, ob er auch wirklich in der Stadt Sestempe angekommen war, in die Merlin ihn und Nicole hatte schicken wollen.
Er stellte nur fest, daß er sich tatsächlich im Innern einer Stadt befand. Im Sternenlicht sah er ringsum die Mauern großer Häuser, die
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