056 - Zielort: Kratersee
Geist wird euch von Anfang an begleiten. Hüte dich vor dem Mann, der die Gedanken verwirrt, und vor dem, der nur bei Tage beißt.« Er brach ab. »Ich habe viel gesehen«, sagte er nach einem Moment, »aber nur wenig verstanden. Die Herren der Stadt leiten zwar die Expedition, doch nicht sie werden über ihr Schicksal entscheiden. Das ist alles, was ich weiß.«
Pieroo kraulte Fiigo unter dem Kinn. Seine Stimme klang beinahe teilnahmslos, als er fragte: »Un wedde Ru'aley un ich zurükkomme?« Mulay nickte. »Ja, das werdet ihr.«
Samtha sah die Lüge auf seinem Gesicht und schwieg.
***
»Dreh dich um, Arschloch.«
Smythe folgte der Aufforderung zögernd. Seine Hand umklammerte immer noch den Stein. Der Mann, der ihm gegenüberstand, war jünger, als er aus der Entfernung gewirkt hatte, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. In einer Hand hielt er ein Messer.
Smythe unterdrückte ein Kichern. Sein Opfer wagte es tatsächlich, den Herrn der Welt zu bedrohen. Das ließ auf einen gewissen Mut schließen, den er jedoch nicht zu schätzen wusste.
»Wieso willst du mich umbringen?« Der Mann klang verwirrt. »Ich hab dich noch nie gesehen.«
»Die Vorsehung«, sagte Smythe und lächelte bei der Erkenntnis, dass seine Schritte wie über einen unsichtbaren Pfad bis an diesen Punkt geführt worden waren. »Die Vorsehung hat uns zusammengebracht, mein ignoranter Freund. Sie -«
»Lass den Stein fallen!« Der Mann schien die Gefahr erst jetzt zu begreifen. In einer linkisch anmutenden Bewegung hob er das Messer und Smythe bemerkte, dass er einem Amateur gegenüberstand. Er ignorierte den Befehl.
»Ich mag es nicht, wenn man mich unterbricht«, fuhr er stattdessen fort. »Du wolltest wissen, weshalb ich dich umbringen werde, also habe bitte auch die Höflichkeit, meine Antwort abzu -«
»Lass endlich den -«
Der Stein traf ihn mitten ins Gesicht. Noch während er haltlos nach hinten kippte, setzte Smythe nach und trat ihm das Messer aus der Hand. Schwer ließ er sich auf den Brustkorb seines Opfers fallen, hörte Rippen brechen und gurgelndes Stöhnen. Beinahe unbewusst fand seine Hand den Stein.
»Du -«, schrie Smythe mit plötzlicher Wut.
»Sollst -« Er schlug zu.
»Den -« Ein weiterer Schlag.
»Herrn -« Das Stöhnen wurde zu einem rasselnden Atemzug.
»Der -« Blut spritzte ihm entgegen.
»Welt -« Der glitschige Stein entglitt seinen Fingern.
»Nicht -« Er nahm die Fäuste.
»Unterbrechen!« Das Opfer lag still.
Smythe lehnte sich schweratmend zurück. Seine Hände sahen aus, als hätte man sie in rote Farbe getaucht. Er schmeckte Blut auf seiner Zunge und spürte, wie der Wind die klebrige Feuchtigkeit auf der Haut trocknete.
»Manchmal«, flüsterte er dem zerstörten Gesicht unter sich zu, »muss der Herr der Welt ein Metzger sein.«
Smythe wischte sich die Hände an der Jacke ab und durchsuchte sein Opfer. Das Messer steckte er ein, ein Amulett aus Tierknochen und zwei Bax ließ er achtlos liegen. Dann endlich schlossen sich seine Finger um das Objekt seiner Begierde: einen rechteckigen Plastikstreifen, in den ein kleiner Metallchip eingelassen war. Kichernd zog er ihn hervor, strich über die weiße Oberfläche und betrachtete die Wegbeschreibung, die man als Piktogramm in die Rückseite eingestanzt hatte.
Aha, dachte er, man trifft sich also vor d em Weißen Haus. Wie traditionsbewusst…
Smythe stand auf und säuberte Hände und Gesicht notdürftig mit Schnee. Die Blutspritzer auf seinem Fellmantel ignorierte er, denn in einer Stadt, in der so viele Leute von der Jagd lebten, fiel ein wenig Blut nicht auf.
»Und wenn schon«, sagte Smythe zu sich selbst, während er den Weg zum Weißen Haus antrat. »Sie werden mich nicht stoppen. Niemand wird mich je stoppen.«
***
Merlin Roots war sicher, dass man ihn nicht verfolgte, aber trotzdem ging er eine halbe Stunde lang ziellos durch die Gassen, bevor er an die Tür der Herberge klopfte.
»Wer ist da?«, fragte eine Stimme prompt.
»Ein Gast, der das Kellerzimmer mieten möchte.«
Dunkle Augen starrten ihn plötzlich durch einen Sichtschlitz im Holz an, dann hörte Roots, wie Riegel zurückgeschoben wurden. Die Tür öffnete sich.
»Sei willkommen«, sagte Freed, der Eigentümer der Herberge. Mit seinen eng zusammenstehenden Augen und den Segelohren wirkte er leicht schwachsinnig, aber der Eindruck täuschte. Freed war es nicht nur gelungen, eine der populärsten (da billigsten) Herbergen in ganz Waashton zu etablieren, er hatte auch
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