Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
1
W enn du ein Cambion bist, ist Ausgeglichenheit das A und O.
Du darfst niemals die Kontrolle verlieren, niemals deinen Gefühlen freien Lauf lassen und auf keinen Fall vergessen, wer du bist und was in dir lebt. So viel Selbstdisziplin erfordert einen starken Willen, ein dickes Fell und eine große Toleranz für alles Merkwürdige, denn machst du nur einen falschen Zug, ist alles vorbei. Egal, wie verlockend es zunächst erscheinen mag, letztendlich gibt es nichts Tragischeres, nichts Schmerzhafteres, als sich selbst zu verlieren.
Na ja, außer der Highschool vielleicht.
Ich kämpfte mich durch den wilden Strom aus hin und her schwingenden Rucksäcken, spitzen Ellbogen und wippenden Pferdeschwänzen, in der verzweifelten Hoffnung, die Aula unverletzt zu erreichen. Die Flure waren überfüllt von Schülern; zusammenhangloses Geschnatter und das laute Knallen der Spindtüren erfüllten die Luft. Der Boden erzitterte unter der Horde, die nach der vierten Stunde entfloh.
Vor dem Sekretariat huldigte die Schulmannschaft mit Siegesgesängen ihren Pokalen in der Glasvitrine. Aufgestylte Püppchen beugten sich eng aneinandergedrängt über Modezeitschriften und ergingen sich in lautstarken Schwärmereien. Geradeaus lag der Hindernisparcours mit den schamlosen Herumknutschern, die sich in meinen Augen lieber ein Hotelzimmer hätten nehmen sollen, statt den Flur zu blockieren. Eigentlich fehlten nur noch ein billiger Pop-Soundtrack und das Logo eines Fernsehsenders. Im Fernsehen sahen Highschools allerdings viel sauberer aus, und dort roch es auch nicht nach Putzmittel und getrocknetem Ketchup.
Ich versteckte mich hinter meinem Schminkspiegel und versuchte, die tödlichen Blicke zu ignorieren, die in meine Richtung geworfen wurden – vor allem, wenn der Freund der Blickewerferin in der Nähe war. Sogar Lilith, meine »Mitbewohnerin«, machten die hasserfüllten Schwingungen ganz nervös.
Meine Mitschülerinnen hatten mich zum Oberfreak der James City Highschool gekürt, und zwar nicht wegen meiner rot-weißen Haarsträhne oder weil ich ein Fettsack war, sondern weil alle Jungs, die mir über den Weg liefen, sich vor Begeisterung kaum noch halten konnten. Das war nun mal leider die Kehrseite meiner Besessenheit.
Noch vor drei Monaten hätte ich nicht erklären können, was ein Cambion ist. Ich wusste damals gar nicht, dass es so was wie Mensch-Dämon-Mischwesen gibt. Doch inzwischen hatte ich am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, die Seele eines Sukkubus in sich zu haben, die einem Energie abzapft und die ahnungslose Männer in den Tod lockt, weil sie nicht genug von ihrer Lebensenergie bekommen kann.
Ich konnte nicht viel tun gegen die tiefen, hungrigen Blicke der Jungs und ihre nicht gerade subtilen geflüsterten Anzüglichkeiten. Mir blieb nur, Augenkontakt zu vermeiden, Ärger aus dem Weg zu gehen und zu beten, dass der Juni bald kommen würde. Es waren ja nur noch acht Monate.
Blitzlicht brannte sich in meine Netzhaut, sobald ich die Aula betrat. Zwei graue Fotohintergründe standen in der Mitte der Bühne, auf der mehrere Schulfotografen den Abschlussjahrgang für die Nachwelt verewigten. Zwei lange Schlangen führten von den Bühnenaufgängen links und rechts bis in die Seitengänge.
Ich trottete zu den Lehrern hinüber, die die Schüler zum Fotografieren schickten, fand meinen Namen auf der Liste, schnappte mir meinen Schein und einen der billigen Plastikkämme, mit denen die Schulkrankenschwester sonst Köpfe nach Läusen absuchte, und stellte mich an. Vor mir standen schon eine Menge Leute und brachten Haare und Make-up in Ordnung. Der Rest verteilte sich auf die Sitzreihen und hatte keine Eile, in den Unterricht zurückzukehren.
Keine Sekunde, nachdem ich mich angestellt hatte, legte meine beste Freundin ihren Kopf auf meine Schulter. Ihr ganzer Körper bebte vor Lachen. »Mann, hast du die Klamotten von Courtney G. gesehen? Klarer Fall von ›knapp vorbei ist auch daneben‹.«
Ich puderte mir Nase und Kinn. »Na, na, Mia. Nun sei mal nicht so streng. Wir können ja nicht alle so ein Modefreak sein wie du.«
»Natürlich nicht, aber die Grundregeln der farblichen Zusammenstellung kann man ja wohl voraussetzen. Also echt.« Mia schüttelte den Kopf, die hellbraunen Augen entsetzt aufgerissen. »Und noch was: Wann lernen die endlich, dass man seine neuen Klamotten nicht alle in den ersten Schulwochen trägt? Man arbeitet sie nach und nach in die vorhandene Garderobe ein.«
Es gab die
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