0580 - Ginas Mörderschloß
schlafender, aus Steinen erbauter Riese mit einem seitlichen Schwanz, wie der Anbau von den Schülern genannt wurde.
In diesem Trakt befanden sich ihre Buden, eine Bücherei und auch die Studierzimmer.
Ferien – Leere, Schlaf, ein Dahindösen. Kein Schüler befand sich mehr innerhalb der Mauern.
So war es eigentlich immer gewesen, aber keine Regel ohne Ausnahme. In diesen Osterferien beherbergte das Internat noch einen Gast. Es war der vierzehnjährige Dennis, der nicht, wie die anderen Schüler in die Ferien gefahren, sondern zum Internat zurückgekehrt war.
Dennis hatte es nicht weit. Die ersten vierzehn Jahre seines Lebens hatte er bei Zieheltern verbracht, einem Ehepaar, das eine Landwirtschaft und eine kleine Pension betrieb. Beide hatten den Jungen an einem Sonntag nach dem Kirchgang gefunden.
In einem kleinen Korb, direkt an einer Straßenkreuzung liegend und vor einem der zahlreichen Wegkreuze, die überall als Mahnstätten aufgestellt worden waren.
Das Ehepaar hatte dem Jungen seinen Namen gegeben, so hieß er jetzt Dennis Höller.
Schon früh hatte sich herausgestellt, daß Dennis zu den Jungen mit einer großen Begabung zählte. Es wäre eine Sünde gewesen, ihn nicht auf ein Gymnasium zu schicken, das hatte selbst der Gemeindepfarrer den braven Leuten ans Herz gelegt, und die Höllers taten, was der Pfarrer ihnen sagte. Sie schickten den angenommenen Sohn auf die Höhere Schule, eben in das nicht allzu weit entfernte Internat.
Es war zu weit, um jeden Abend an den häuslichen Herd zurückzukehren, am Wochenende jedoch war Dennis immer bei seinen Eltern und ging ihnen zur Hand.
Er half beim Beziehen der Betten mit, mistete den Stall aus, und führte die Kühe auf die Weide und sammelte auch die frischen Hühnereier ein, wobei niemals ein Wort der Klage über seine Lippen drang. Dennis war dankbar, ein derartiges Zuhause gefunden zu haben.
Dennis gehörte zu den ruhigen, lieben Kindern, die nicht auffielen.
Das freute die Eltern, zudem ernteten sie von den Nachbarn und Bekannten nur Lob. Es gehörten auch die Leute dazu, die ihnen damals abgeraten hatten, den Jungen zu sich zu nehmen.
Wer seine richtigen Eltern gewesen waren, hatten die Höllers bisher nicht herausfinden können. Nach einigen Jahren hatten sie die Nachforschungen sowieso aufgegeben.
Anders der Junge!
Dennis war nicht so ruhig, wie er wirkte. Er wußte genau, daß er zu den besonderen Menschen gehörte. In seinem Innern brodelte ein Vulkan. Manchmal kam es ihm vor, als könnte er in die Vergangenheit hineinsehen und Dinge schwach erkennen, die in seinem Leben eine Rolle spielten.
Noch war der Vorhang zu dicht, er schaffte es nicht, ihn auch nur ein Stück aufzureißen. Aber mit der Zeit wurde er schwächer und dünner. Irgendwann, so hoffte Dennis, würde es ihm gelingen, ihn ganz zur Seite zu fetzen.
Manchmal, wenn er sehr tief und fest schlief, überkamen ihn ungewöhnliche Träume. Immer wieder erschien das Gesicht einer dunkelhaarigen Frau, die ihn anlächelte und trotz ihres Lächelns die Boshaftigkeit auf dem Gesicht nicht verleugnen konnte.
Eine geheimnisvolle Frau, von der er nur das Gesicht kannte, das in seinen Träumen immer dann verschwand, wenn plötzlich die Feuerbrunst hochloderte.
So endete sein Traum jedesmal.
Dennis hatte sich seine Gedanken gemacht. Er wollte das Rätsel lösen und hatte vor einigen Nächten wieder unter einem dieser Träume gelitten.
Diesmal war er sehr intensiv gewesen. Dennis hatte diesmal Stimmen gehört. Er hatte nicht nur die Hexe und die Flammen gesehen, auch die Menschenmenge vor dem Feuer, und die hatte einen Namen geschrien, den er niemals vergessen würde.
Schwarzwald-Hexe!
Genau an diesem Punkt hakte der Junge ein.
Wann und von wem immer dieser Name gerufen sein mochte, es mußte einfach eine Spur geben, davon war er überzeugt. Die Schwarzwald-Hexe war so etwas Außergewöhnliches, daß es einfach keine andere Lösung für ihn gab, als nach dieser Person zu fahnden.
Dennis war aufgeklärt genug, um zu wissen, daß es Hexen im Mittelalter gegeben hatte.
Diese Zeit war längst vorbei, das Grauen beendet, aber es gab die Erinnerung.
Erinnerung in Form von Aufzeichnungen. In Protokollen, in Büchern war darüber geschrieben worden. Jedes Dorf hier besaß seine eigene Legende, seine Spukgeschichte, man mußte diese Dinge nur eben finden.
Dennis Höller hatte sich das für die Ferien vorgenommen. Zwar war seine Zeit durch die häusliche Arbeit begrenzt, doch er hatte
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