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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Taler zu einer Reise von höchstens einer Woche, die konnten ja gar nicht alle werden! Noch mehr als zwanzig Groschen pro Tag, das mußte ja das reinste Schlaraffenleben werden! Ich munkelte sogar ganz heimlich schon davon, natürlich zu mir selbst, daß ich mir unter Umständen eine halbe Flasche Wein, natürlich so billig und aber auch so gut wie möglich, gestatten werde. Welche Sorte ich wohl wählen und wie hoch im Preis ich gehen dürfe, das beschäftigte mich sehr lebhaft täglich in der halben Viertelstunde, welche dem Einschlafen voranzugehen pflegte! Du glückliche Zeit, wie lange bist du vorüber und niemals, niemals zurückgekehrt!
    Der Kantor machte sein Versprechen wahr; die Motette wurde eingeübt, und Krüger mußte das dreistimmige Solo mitsingen, wofür er mich mit einem Haß bedachte, der mir manchen Ärger bereitete.
    Dann erschien mein Weihnachtsgedicht; jeder Mitschüler wollte es haben; die betreffende Nummer des Blattes wurde infolgedessen in vielen Exemplaren von unserer Buchhandlung bezogen, und als nachher das allmonatliche Freideklamieren stattfand, so genannt, weil jeder sein Gedicht sich selbst wählen konnte, leiteten alle meine dreiundzwanzig Klassengefährten ihre rhetorischen Produktionen folgendermaßen ein: ‚Weihnacht, Gedicht von Karl May‘. Ich war der einzige, welcher einem sogenannten Klassiker die Ehre erwies, auch mit genannt zu werden. Es wurde Mode, mein Gedicht im Notizbuch mit herumzutragen, um es bei jeder unpassenden Gelegenheit hervorzunehmen, und ich hatte das zweifelhafte Glück, noch monatelang mit Fragen bestürmt zu werden, warum ich grad diese und nicht jene Wendung gebraucht oder grad diesen und keinen anderen Reim gewählt habe. Es wurden Verse über Verse geschmiedet, bis die ganze Lehrerschaft sich endlich über die ‚Katheten und Moneten‘, ‚Verbalien und Australien‘, ‚Romulus und Fidibus‘, ‚Multiplikant und Elefant‘ so erbost fühlte, daß unter dem Vorsitz des bereits genannten ‚Alten‘ beschlossen wurde, gegen diesen Unfug ohne Nachsicht vorzugehen. Die nun folgenden Verweise und anderen Strafen erreichten zwar ihren Zweck, aber leider für mich die Folge, daß ich, der vorher so Vielumworbene, nun wie eine Selters- unter lauter Champagnerflaschen gemieden wurde, was den ebenso wohlbegründeten wie unerschütterlichen Vorsatz in mir wachrief, meine etwaigen Gedichte auf alle Fälle erst nach meinem Tode erscheinen zu lassen. Daß ich diesem Entschluß bis auf einige wenige Ausnahmen treu geblieben bin, macht mich gewiß des Dankes der Mit- aber wohl schwerlich der Bewunderung der Nachwelt wert!
    Was die oben erwähnte Weihnachtsreise betrifft, so pflegte ich in allen Ferien eine längere Fußwanderung vorzunehmen. Ich lag zufolge meiner Neigung, meiner Zukunftspläne und aus noch anderen Ursachen mehr über den Büchern als meine Mitschüler und mußte mich darum von Zeit zu Zeit einmal tüchtig körperlich ausarbeiten, was durch eine weite Gehtour am besten geschehen konnte. Dabei schloß sich mir meist ein mir sehr sympathischer Mitschüler an, der, wenn auch nicht so arm wie ich, aber doch ebenfalls zur Sparsamkeit veranlaßt war. Ein fleißiger und ernster Junge, pflegte er, außer mit mir, nicht viel zu sprechen und wurde deshalb Cyprinus Carpio oder kurzweg Carpio genannt, weil Karpfen bekanntlich auch nicht gern viele Worte machen. Wir pflegten unsere beiderseitige Barschaft zwar nicht in eine mit den Mitteln des anderen zu rechnen, was zur Folge hatte, daß der, welcher mehr besaß, sich stets bemühte, heimlich dafür zu sorgen, daß der gegenwärtig Ärmere nicht unter seinem augenblicklichen Proletariat zu leiden hatte. Es kamen die Beispiele von Selbstlosigkeit und Aufopferung vor, welche wirklich rührend waren, obgleich oder vielleicht grad weil es sich dabei um ganz geringe Beträge, um Groschen oder gar nur um Pfennige handelte. Das ganz natürliche Ergebnis dieses Verhaltens war, daß am Schlusse jeder solchen Reise bei beiden der Rest ihres Geldes genau derselbe war. Wenn einer unserer heutigen Finanzminister dabeigestanden und gehört oder gesehen hätte, mit welch einer weisen und bedachtsamen Wichtigkeit wir über die geringste Ausgabe verhandelten, er hätte von uns lernen können. Wir sind sogar einmal über den Fluß geschwommen, um zwei Kreuzer Fährgeld zu ersparen.
    Dieser prächtige Junge wollte die von mir geplante Weihnachtsreise gar zu gern mitmachen, glaubte aber, daß ich ihn diesmal nicht mitnehmen

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