06 - Weihnacht
Rost hier in Behandlung nahm. Die Indianer hätten ihn ohne Mitleid hinsterben lassen, wenn sie nicht durch die Rücksicht auf uns veranlaßt worden wären, sich wenigstens notdürftig seiner anzunehmen. Im Frühjahre ist er, wie ich später hörte, von einigen weißen Jägern nach Fort Laramie geleitet worden. Was dann aus ihm geworden ist, das weiß ich nicht. Es lag mir überhaupt nichts daran, etwas Weiteres über ihn zu erfahren.
Rost bekam von Avaht-Niah sehr gern die Erlaubnis, so lange bei den Schoschonen zu bleiben, wie er es für seine Zwecke angemessen halte. Er ist jetzt einer der angesehensten Naturärzte des Ostens und – – – ein Leser meiner Reiseerzählungen. Er wird sich freuen, wenn er sich auch in diesem Bande findet, und ich bitte ihn um Verzeihung, daß ich ihn so gezeichnet habe, wie er damals war. Seine innere Stimme wird ihm inzwischen gesagt haben, daß der Kapuzenmuskel und der rautenförmige nicht die einzigen Muskeln der Menschen sind, welche Erwähnung verdienen.
Wir hatten keine Lust, bis zum Frühjahr bei den Schlangen zu bleiben, und machten uns über die Pässe hinüber, sobald das erste, durchdringende Tauwetter uns erlaubte, dies allerdings nicht geringe Wagnis mit den Pferden zu unternehmen. Es gelang. Wenn ich sage, wir, so meine ich Welley, Hiller, Sannel, Reiter, Winnetou und mich. Von da aus ging es zwar langsam aber immer weiter östlich; wir mußten der Ernährung der Pferde wegen oft sehr langen Halt machen; ihr Hauptfutter bestand aus jungen Zweigen, die aber jetzt saftlos und gefroren waren. Wenn Winnetou nicht bei uns gewesen wäre, hätten wir es nicht gewagt, den Tieren einen so weiten winterlichen Ritt zuzutrauen; er aber wußte immer Rat. Dennoch kamen sie immer mehr herab, so daß wir ihnen erst in Fort Grattan und dann in Fort Kearney Zeit geben mußten, sich so weit zu erfangen, daß wir weiter konnten.
Von dem Transporte der für Hiller bei den Schoschonen und bei den Kikatsa liegenden Fellen hatte keine Rede sein können. Es war ausgemacht worden, daß sie von den Indianern im Frühjahre nach Fort Laramie gebracht und später von weißen Beamten der Händler dort abgeholt werden sollten.
Es war Anfang des März, als wir in Weston einrückten. Soll ich die Freude beschreiben, welche die glückliche Rückkehr Hillers dort hervorbrachte? Wenn ich auch wollte, ich könnte es nicht! Watter wurde bald ausfindig gemacht. Ich, der ‚reine Garnichts‘, war dabei, als er mit Welley die Depositenscheine präsentierte und das Geld bekam. Beide traten mit Reiter und Arnos Sannel zusammen, um ein großes Holzgeschäft zu gründen; das entsprach ihrem Vorleben und ihren Eigenheiten, und die Firma, aus welcher nur Sannel durch den Tod geschieden ist, steht noch heut in Flor.
Winnetou gab die Pferde in zuverlässige Pension, und nun kam endlich unsere damals beabsichtigte Reise nach dem Osten zur Ausführung. Nach meiner Trennung von ihm ging ich für einige Zeit nach Deutschland, um dann im Herbste am Tigris die Haddedihn-Beduinen und meinen treuen, braven Hadschi Halef Omar aufzusuchen. Ich hielt mich in Bremen gar nicht auf, denn das Geld, in welches ich die Nuggets Carpios umgesetzt hatte, brannte mir in den Taschen. Ich habe es ehrlich abgeliefert und Freude damit angerichtet.
Freude, ja, aber weiter nichts! Ich habe natürlich denjenigen Personen, bei denen diese Diskretion nötig war, andere Namen gegeben und brauche daher nicht zu verschweigen, daß man sich über dieses Geld freute, aber über die Leiden und den Tod meines lieben Carpio keine große Betrübnis zeigte. Er war den Herzen der Seinen fremd geworden, und als ich die Summe ausgezahlt hatte, sagte man mir höflich kalten Dank, und ich konnte gehen, ohne mit weiteren Fragen nach und über ihn belästigt zu werden. Ich hatte sogar das Gefühl, als müsse ich froh sein, daß mir nicht abverlangt worden war, mit Hilfe überzeugender Unterlagen zu beweisen, daß der Betrag nicht eigentlich ein größerer sei!
Der nächste Besuch, den ich infolge der erzählten Erlebnisse machte, war erfreulicher. Reiter hatte mich gebeten, seinem Vater persönlich Grüße zu überbringen, und ich tat dies von Herzen gern. Mein alter Kantor war ein eisgraues Männchen geworden; auch die Frau Kantorin war grau, doch noch so wohlbeleibt wie früher; er sah wie eine dünne Achtelpause und sie mit ihrer breiten Flattusenhaube wie eine Vierviertelnote aus, mit einer großen Fermate darüber. Als sie einmal in die Küche
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