0612 - Eine Nacht im Hexenschloß
meine Hände.
Nach der Außentreppe blieb ich vor der Tür stehen. Noch einmal schaute ich zurück in den leeren Innenhof, wo es ständig dunkler wurde und sich Nebelfahnen hineinschoben. Das Wasser im Graben rauschte nicht mehr, überhaupt hörte ich keine weiteren Geräusche, und die Stille drückte mir aufs Gemüt.
Es würde etwas passieren, das stand für mich fest. Nur wußte ich leider nicht was und kannte zudem den Zeitpunkt nicht, wann die Ereignisse eintraten.
Die Tür war nicht verschlossen. Sie schwang sogar ziemlich leicht nach innen. Kerzen leuchteten nicht in der großen Halle. Das Flackerlicht des offenen Kaminfeuers reichte aus, um den Raum mit Helligkeit und Wärme zu füllen.
Hinter der Tür hatte ich eine andere Welt vorgefunden. Von der Kälte in die Wärme, aber auch sonst hatte sich einiges verändert.
Meiner Ansicht nach war die Magie hier verschwunden, selbst mein Kreuz »meldete« sich nicht, was seltsamerweise bei der Begegnung mit der Hexe auch nicht geschehen war oder ich es nicht gemerkt hatte.
Ich schritt auf die Treppe zu. Die Tür hatte von mir einen Stoß bekommen. Gemächlich fiel sie wieder zurück ins Schloß. Die Hexe interessierte mich im Augenblick nicht, ich wollte Jane Collins finden.
In der Halle verbarg sie sich nicht, rief sicherheitshalber ihren Namen und konnte nur dem Echo meiner eigenen Stimme nachlauschen, denn eine Antwort bekam ich nicht.
Trotz allem fühlte ich mich beobachtet. Das war kein normales Schloß. Hier gingen Dinge vor, die mit Teufelei und Hexerei zu tun hatten. Ich erinnerte mich an den Toten, zu dem noch ein zweiter zukam. War auch er im Wassergraben verborgen? Waren die beiden überhaupt tot, oder hatte es die Hexe dank ihrer Kraft geschafft, sie zu lebenden Leichen zu machen?
Mit diesen Gedanken stieg ich die Treppe hoch. Dabei hielt ich mich in der Mitte, weil dort ein Teppich meine Schritte schluckte.
Auf einmal überkam mich der Eindruck, als würde sich die Treppe bewegen. Die Stufen vor mir tanzten, sie zogen sich zusammen, verengten sich, nahmen anschließend an Breite zu, so daß ich stehenblieb und nach dem Handlauf tastete, auf dem ich mich abstützte.
Vielleicht war es besser, wenn ich mein Kreuz nach außen hängte, aber zuvor überraschte mich die Stimme der Hexe, die aus jedem Mauerstein zu dringen schien, so laut war sie plötzlich geworden.
»Was ist denn, schöner Mann? Weshalb gehst du nicht weiter? Was willst du überhaupt?«
»Komm her…«
Sie lachte hell und gleichzeitig rauh. »Geh nur, schöner Mann, wir kommen noch zusammen.«
Ich hob die Schultern und ergab mich in mein Schicksal. Orania führte hier Regie. Ich hoffte darauf, daß es sich bald ändern würde.
Den Rest des Weges schritt ich über eine normale Treppe, erreichte einen Gang, der menschenleer vor mir lag. Zwar sah ich die Rüstungen und Bilder, aber irgendwelche Personen waren nicht zu entdecken, leider auch nicht meine Freundin Jane Collins.
Ich ging sehr vorsichtig weiter. Das Kreuz steckte ich in die Tasche. Es hatte überhaupt nicht reagiert und sich auch nicht erwärmt.
Mir kam es vor, als hätte es seine Magie verloren.
Sehr ungewöhnlich…
Nach wenigen Yards vernahm ich das leise Knarren. Gleichzeitig öffnete sich vor mir auf der rechten Seite des Ganges eine Tür, wie von Geisterhand bewegt.
Sie schwang nach außen und gab mir dadurch zu erkennen, daß der Weg endlich frei war.
Wenn ich recht nachdachte, mußte es die Tür sein, die auch zu dem Zimmer führte, hinter dessen Fenster ich die Gestalt der Jane Collins gesehen hatte.
Den Rest der Strecke legte ich mit langen Schritten zurück, blieb aber vorsichtig und zögerte, die Schwelle zu übertreten.
Das Zimmer lag in einem warmen Kerzenschein. Die beiden Leuchter standen nahe der Wände. Ein leichter Luftzug bewegte die Flammen und ließ sie tanzen.
Schatten und Licht, daß alles floß über die Konturen der Möbel, wobei mir das Bett besonders auffiel.
Ein breites Himmelbett, dessen oberer Stoff sich wie ein eingedrücktes Gewölbe über der Liegestatt spannte.
Ich wußte, daß es genau der Raum war, in dem mich die Hexe Orania zu einer langen Nacht erwartete. Aber sie hielt sich noch zurück, niemand außer mir befand sich zwischen den Wänden. Die Hoffnung, Jane Collins hier zu finden, war zerplatzt.
Auf keinen Fall konnte ich es mir leisten, überzogen zu reagieren.
Deshalb blieb ich gelassen, als ich den Raum betrat, zum Fenster schritt und feststellen mußte, daß es
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