0625 - Die Schrumpfkopf-Königin
lange weg. Normalerweise kein Grund zur Beunruhigung. An diesem Tag dachte Pete Sagari anders darüber, weil er eben so ungewöhnlich war.
So lange konnte es doch nicht dauern, bis jemand eine Teemischung, die ja nicht neu war, zubereitet hatte. Irgend etwas mußte da schiefgelaufen sein.
Sagari überlegte, ob er warten oder einfach nachschauen sollte. Er kannte das Reich hinter der Theke nicht, wußte nur, daß sich dort so etwas wie ein Lager befand oder eine kleine Hexenküche, in der Hatiyama einiges zusammenmixte.
Sollte er nachschauen?
Es war nicht Sagaris Art, sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen, in diesem Fall wollte er eine Ausnahme machen, da er unter Zeitdruck stand.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Drei Minuten wollte er dem Alten geben, dann würde er dessen Allerheiligstes betreten.
Die Zeit verrann. Er empfand die Stille als Belastung und schreckte zusammen, als ein Kunde das Lokal betrat und er die Türglocke bimmeln hörte.
Kälte drang in den Laden. Der Schwall erwischte ihn von vorn, als er sich drehte.
Ein Mann hatte das Geschäft betreten, ein Europäer. Er war winterlich gekleidet. Der Rand seiner Pudelmütze schloß fast mit den Augenbrauen ab.
»Wo ist Hatiyama?«
»In seinem Lager.«
»Aha.«
»Sie können warten und…«
Der Kunde schüttelte den Kopf, schaute auf seine Uhr und erklärte, er würde später wiederkommen.
»Soll ich Hatiyama Bescheid geben?«
»Nein.«
Wieder klingelte die Glocke. Durch das Schaufenster sah Pete Sagari den Mann nach rechts weggehen.
Ihn umgab wieder die Stille. Zudem stellte er fest, daß die Zeit abgelaufen war.
Um hinter die Theke zu gelangen, mußte eine Klappe in die Höhe gehoben werden. Als Sagari dies tat, hatte er das Gefühl, etwas Verbotenes zu machen.
***
Hatiyama hatte den Raum zwischen Theke und Verkaufswand mit Brettern belegt, über die Stoff straff gespannt worden war. Deshalb klangen die Schritte ziemlich leise, als Pete Sagari der schmalen Tür entgegenging. Das schlechte Gewissen war geblieben. Er kam sich wie ein Eindringling vor, der dabei war, ein verbotenes Reich zu betreten.
Vor der Tür blieb er stehen. Sie war geschlossen und klemmte beim Versuch, sie aufzuziehen. Ein langes Stück Filz hielt sie in der Lage.
Tief atmete Pete ein, dann drückte er die Tür behutsam nach innen.
Kaum war der Spalt entstanden, als er den leisen Schrei hörte, dem ein furchtbares Röcheln folgte.
Sagari handelte reflexartig. Er trat die Tür blitzschnell ganz auf und war froh, daß die zurückschwingende Tür von seinem schräg gestellten Fuß gestoppt wurde.
Er schaute in den Raum und bekam Herzjagen, denn die Szene war grauenhaft.
Hatiyama lag im Sterben.
Und sein Mörder war ein Kopf, ein killender Schrumpfkopf!
***
An einem glänzenden Silberfaden hing er von der Decke und war haargenau in die Richtung geschwungen, die er brauchte, um die Kehle des Mannes zu erreichen.
Dort hatte er sich festgebissen, und war so stark, daß er Hatiyama in einer Schräglage hielt.
Zwei Lampen brannten. Ihr Schein genügte, um den Schrecken erkennbar werden zu lassen, der auf dem Gesicht des alten Mannes lag. Sagari würde es in seinem Leben nie vergessen.
Diese Szene war unwahrscheinlich grausam. Der kleine Schrumpfkopf, der auf eine Handfläche paßte, hatte sich zu einem gefährlichen Killer entwickelt.
Eine bläulich schimmernde Haut, schwarzes, strähniges, langes Haar, dazu ein Gesichtsausdruck, der kaum zu beschreiben war, das alles prägte sich unauslöschlich ein.
Sagari wußte nicht, wie lange er auf seinem Beobachtungsposten gestanden hatte, aber es kam der Moment, wo der Schrumpfkopf den Hals des Opfers losließ.
Wie Sprühregen fielen Blutstropfen zu Boden, und der alte Mann brach zusammen.
Der Schrumpfkopf pendelte an dem Silberfaden auf und ab, als würde er an einer Spirale hängen.
Dann drehte er sich – und schaute Sagari an!
Zum erstenmal schaute der Mann in die Augen des Schrumpfkopfes. Bisher hatte er sie nur als halbgeschlossen erlebt, das war nun nicht mehr der Fall.
Als wären kleine Vorhänge weggezogen worden, so hatten sich die Augen geöffnet. Sagari hatte noch nie zuvor einen derartig schlimmen Blick erlebt.
Mordlust, Haß und Kälte vereinigten sich zu einem bösartigen Chaos. Die Lippen schimmerten in einem blutigen Rot. Wie aufgepinselt saßen die Tropfen unter der flachen und gleichzeitig dicken Nase. Auch in den Hautfalten hatten sich einige verteilt.
Der Schädel zitterte auf und
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