063 - Die linke Hand des Satans
äußerlich stark verändert hatte, seit vor fünfzig Jahren Baron de Conde auf dem Scheiterhaufen verbrannte. In ein Konstanz, wo man aber heute noch wie damals als Unschuldiger ein Opfer der Inquisition werden konnte.
Ich war so in meine Gedanken versunken gewesen, daß ich gar nicht bemerkte, wohin mein Schritt mich lenkte.
„Platz da! Macht Platz! Nur nicht drängen! Es bekommt jeder war zu sehen."
Ich schreckte hoch, als hinter mir Räder ratterten, drehte mich um und sah den Wagen mit dem Ochsengespann. Auf dem Kutschbock saß einer der Stadtknechte. Die beiden anderen gingen zu Fuß, flankierten ihn links und rechts. Auf dem strohbedeckten Boden des Leiterwagens kauerte das Mädchen mit den Elefantenbeinen. Sie hielt die Sprossen umkrampft, um nicht umzufallen. Ihre leeren, schwarzen Augenhöhlen erschienen mir auf einmal riesig groß. Die Leute warfen mit faulem Obst nach ihr. Es war abstoßend, entwürdigend.
Plötzlich vernahm ich unter all dem Geschrei und Gejohle eine leise und ängstliche Stimme ganz nahe hinter mir.
„Man darf das doch nicht zulassen! Tut denn niemand etwas dagegen?"
Ich drehte mich um. Da stand Alraune.
Ich starrte sie an. Sie erwiderte meinen Blick mit verschleierten Augen. Um ihren Mund spielte kurz ein unsicheres Lächeln. Dann weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen und Staunen, als könnte sie nicht begreifen, und ihr Blick wanderte wieder an mir vorbei, zu der Szene in meinem Rücken. Ihre eine Hand hob sich, legte sich auf meinen Umhang, und langsam schlossen sich ihre grazilen Finger um meinen Kragen, verkrallten sich in dem Stoff, so als müßte sie Halt suchen.
„Alraune", flüsterte ich.
„Ist es nicht schrecklich?" fragte sie, und ihre Blicke hefteten sich wieder auf etwas hinter mir.
Ich wußte, daß sie auf den Wagen starrte, der die Geblendete zum Richtplatz brachte.
„Was wird mit dem armen Ding geschehen?" fragte sie ahnungsvoll. „Kann man ihr nicht helfen?" „Alraune!"
Ihr Blick richtete sich wieder auf mich; und wieder zeigte sie das unsichere, schüchterne Lächeln. „Nenne mich Gretchen! Diesen Namen hat man mir gegeben."
„Warum Gretchen?"
„Warum nicht?"
„Wo - wo warst du die ganze Zeit über?"
„Ich habe nach dir gesucht, Georg. Und nun habe ich dich gefunden. Ich - ich bin froh."
Ich faßte nach ihrer Hand und drückte sie. Die Hand war kalt. Ich dachte kurz daran, daß dies für manchen die Kälte des Todes sein konnte, und erschrak über mich selbst, als ich mich fragte, wie vielen Männern sie in der Zwischenzeit den Tod gebracht haben mochte, um sich selbst am Leben zu erhalten.
Ich forschte in ihrem Gesicht. Es war ausgeprägter, als ich es in Erinnerung hatte. Nicht mehr so masken-, so puppenhaft. Anzeichen einer sich entwickelnden Persönlichkeit waren darin zu sehen. Um ihre Mundwinkel hatten sich leichte Furchen eingeprägt. Spuren der ersten Enttäuschung?
„Wie ist es dir ergangen - seit unserer Trennung, Alraune?"
„Sage Gretchen zu mir!" bat sie wieder, ohne mich anzusehen. „Ich mußte erfahren, daß der Name Alraune für die Menschen dieses Landes eine oft gar furchtbare Bedeutung hat. Ach, Georg, ich bin's zufrieden. Aber was wird aus dem armen Ding auf dem Wagen? Wenn meine Ahnungen stimmen - es wäre schrecklich, Georg."
Obwohl wir leise gesprochen hatten, mußten wir die Aufmerksamkeit eines der Umstehenden erweckt haben. Es war ein kleiner, grobschlächtiger betagter Mann, der einen runden Rücken hatte und lange, fast bis zum Boden reichende Arme. Er öffnete seinen fast zahnlosen Mund und lachte, wobei er den Speichel schlürfend einsog.
„Es ist keine große Kunst, zu ahnen, was mit der Diebin geschieht", meinte er. „Sie hat mit der linken Hand gestohlen. Also..."
„Haltet den Mund!" fuhr ich ihn an, als ich sah, wie Alraune blaß wurde und zu zittern begann.
„Seht ihr nicht, wie sehr sich diese Dame entsetzt?"
„Na, dann soll sie zu Hause am warmen Kamin bleiben", meinte der Fremde spöttisch, der mir einen sehr heruntergekommenen Eindruck machte und mir als Gesprächspartner äußerst unlieb war.
Doch Alraune fand nichts dabei, sich mit ihm zu unterhalten.
„Was hat dieses Mädchen angestellt?" verlangte sie zu wissen. „Was hat sie gestohlen? Wen hat sie bestohlen?"
Der Mann warf mir einen prüfenden Blick zu.
„Ich weiß nicht, ob es Euerm Begleiter recht ist, wenn ich..."
Ich nickte. „So gebt uns Auskunft!"
Der Mann kicherte. „Der Henker wird nicht viel Federlesens machen,
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