Verplant verliebt
1
„Sei nicht so eine Miesmuschel“, sagte Paula und schaute auf zwei große Plastikmuscheln, hinter denen Maries Brüste steckten. Marie zupfte an ihrem Oberteil und versuchte, ihr Dekolleté so gut es ging zu verdecken. Vergeblich. Die Männer starrten weiter unverhohlen auf ihren Ausschnitt.
Paula ließ nicht locker. „Komm schon, Marie! Wir sind hier, um Spaß zu haben. Das hast du mir versprochen.“
Vor einer halben Stunde, als sie mit Paula vor dem Spiegel gestanden hatte, mit einem Sekt in der Hand, hatte sich die Idee noch gut angehört. Jetzt, als es an die Umsetzung ging, verließ sie der Mut.
Paula riss Marie aus ihren Gedanken. „Schau mal da hinten, der Poseidon – das ist doch ein Prachtexemplar.“ Sie wies mit ihrer Hand zur anderen Seite des Wohnzimmers, wo ein etwa 1,70 Meter großer Mann mit grün geschminktem Gesicht und Dreizack in der Hand an einer Bierflasche nuckelte.
Marie schüttelte den Kopf. Sie musste sich zu Paulas Ohr hinunterbeugen, um Cyndi Lauper zu übertönen. „Zu dir würde er gut passen, aber für mich ist er zu klein. Der geht mir ja gerade bis zum Bauchnabel.“
Paula verdrehte die Augen. „Und der da? Mit dem Taucheranzug?“
Marie folgte Paulas Blick. Der Mann hinter der Taucherbrille kam ihr vage bekannt vor. „Das ist Peter aus der Buchhaltung. Und, wie du weißt, stehen Kollegen ganz oben auf meiner No-go-Liste.“
Doch so schnell gab Paula nicht auf. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt weiter Ausschau nach passenden Kandidaten. Dann zeigte sie auf einen blonden Mann mit Fischernetz über der Schulter. „Der hätte bestimmt nichts gegen einen hübschen Fang.“
„Wenn der nicht aufpasst, fängt er sich Lungenkrebs.“ Marie starrte auf die Zigarette in seiner Hand. „Und wer will schon einen Aschenbecher küssen? Außerdem ist der am halben Körper tätowiert. Hat der sich mal überlegt, ob die Bildchen in 50 Jahren noch genauso akkurat sitzen?“
„Mensch, Marie, der muss doch nur heute Nacht gut aussehen! Ob er irgendwann an Lungenkrebs stirbt oder die Tätowierungen verschrumpeln, kann dir doch egal sein – du sollst hier nicht den zukünftigen Vater deiner Kinder auswählen. Heute geht’s um Spaß! Schalt doch mal dein Gehirn aus und lass deine Instinkte suchen.“
Paula hatte recht. Marie gab sich Mühe, doch ihre Synapsen ließen sich nicht mal eben umpolen. Jeden einzelnen der vergangenen 732 Tage hatte sie sich in eine feste Beziehung zurückgesehnt, auch wenn ihre letzte in einem Fiasko geendet war. Und heute heiratete dieser Arsch! – Höchste Zeit, die Geschichte ein für alle Mal abzuhaken und endlich Spaß zu haben!
Marie blickte sich im Wohnzimmer ihrer Kollegen Albert und Sandra um und befahl sich, offen zu sein. Auf der Motto-Party waren etwa 15 Männer versammelt, soweit man das überhaupt erkennen konnte. Der Pappmaschee-Seestern da hinten rechts war nicht so recht einzuordnen. Aber ihr musste ja nur ein Einziger gefallen, das sollte doch wohl möglich sein. Maries Kollegen von JCN kamen natürlich nicht in Frage. Auch Männer, die kleiner waren als Marie, sortierte sie aus. Mit ihren 1,80 Meter erkannte sie sofort, dass nur zwei Männer die anderen überragten. Einer sah aus, als dürfte er offiziell noch gar keinen Alkohol trinken, und der zweite hielt seine Freundin, eine grün gekleidete Frau mit Seerose auf dem Kopf, eng umschlungen.
„Es funktioniert nicht, Paula. Meine Instinkte sind verkümmert.“ Marie zupfte resigniert an ihrer Korsage. Heute wollte überhaupt nichts passen. Weder die Männer noch ihre Stimmung. Und erst recht nicht das Kostüm! Schon bei der Anprobe hatte sie es zu freizügig gefunden, aber der Verleiher konnte nichts anderes in ihrer Größe auftreiben und Paula hatte ihr mehrmals versichert, dass es für ihr Vorhaben genau richtig sein würde.
Auch jetzt redete ihr Paula gut zu: „Du darfst nicht gleich aufgeben.“
„Ich wünschte, ich könnte mich so schnell für Männer begeistern wie du“, seufzte Marie.
„Was meinst du denn damit?“
„Naja, ich kenne außer dir niemanden, der zwischen zwei Beziehungen nur zwanzig Minuten verstreichen lässt.“
Als Paula die Arme verschränkte und sich abwandte, tat Marie der Spruch leid. Sie bewunderte Paula tatsächlich für ihre unbekümmerte Art, mit Männern umzugehen. Dank ihrer langen schwarzen Haare, dem hellen Teint und den roten Lippen stand immer schon ein neuer Mann bereit, wenn sich eine ihrer Kurzzeitbeziehungen dem
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