0657 - Angst vor dem roten Phantom
liegen blieb.
Es war geschafft!
***
Das Siegerlächeln konnte ich nicht unterdrücken, als ich mich aus dem Zelt löste und quer über den Platz schritt, verfolgt von zahlreichen Augenpaaren.
Nur Kirtu, der Alte, sprach. Er schüttelte dabei vorwurfsvoll den Kopf und flüsterte mir entgegen:
»Ich habe dir doch gesagt, dass ein Mensch es nicht schafft.«
»Abwarten.«
»Ja, das werden wir.«
Ich runzelte die Brauen, weil mich die Antwort hatte misstrauisch werden lassen. Sollte ich letztendlich doch verloren haben?
Am Pfahl blieb ich stehen und hob den Kopf des Mannes an. Ich hatte es nicht glauben wollen, aber Felix Picarotta lebte tatsächlich noch. Er befand sich nur in tiefer Bewusstlosigkeit.
Sein Kopf sank wieder nach vorn, als ich weiterging. Es hatte keinen Sinn, die Familie ansprechen zu wollen. Mutter und Kinder standen unter dem ungewöhnlichen Bann, der mich und den alten Kirtu nicht erwischt hatte.
Die Wucht des Aufpralls hatte das rote Phantom auf den Rücken geschleudert. Seine Kleidung war ineinander gefallen. Sie sah aus wie ein großer Ballon, aus dem die Luft herausgelassen worden war. Das gefiel mir überhaupt nicht.
Zuerst zerrte ich den Dolch hervor. Ich hatte dabei kaum Widerstand gespürt, fetzte mit der anderen Hand die Tücher dort zur Seite, wo sich das Gesicht hätte befinden müssen, und stand da wie der begossene Pudel.
Es gab kein Phantom, es gab nur die rote Kleidung. Alles andere war verschwunden.
Mit den Füßen trat ich den Stoff zusammen, bekam gleichzeitig eine Gänsehaut, denn nun wusste ich, dass man mich geleimt hatte. Als Kirtu kam, knirschten seine Schritte in der Stille.
Ich drehte mich um, sodass ich ihn anschauen konnte. Mit ausgebreiteten Armen blieb er vor mir stehen. Beobachtet wurden wir von den anderen Menschen, die wie stumme Zuschauer in einem Theatersaal wirkten. Der Himmel hatte sich bezogen. Ein leichter Wind brachte den Geruch von Fäulnis mit, der in den feuchten Uferregionen lastete.
»Hatte ich es dir nicht gesagt? Du kannst das rote Phantom nicht besiegen. Niemand kann es.«
»Warum nicht?«
»Du bist ein Mensch, du gehörst nicht zu uns. Du besitzt nicht das Teil, das so wichtig ist.«
»Und wer hat es dann?«
Kirtu hob die Schultern. Er sah nachdenklich aus, bevor er wieder zu mir sprach. »Ich würde meinen, dass dies eine Chance gewesen ist, die du nicht verdient hast. Fahad wurde sie nicht gegeben, er musste sterben, das wissen wir auch. Man hat dich schon einmal gewarnt. Tu dir selbst einen Gefallen und geh von hier weg.«
»Ja, Kirtu, das werde ich auch.«
»Danke. Es ist eine gute Entscheidung.«
»Bestimmt. Nur werde ich nicht allein gehen. Ich nehme die Familie Picarotta mit. Vater, Mutter und die beiden Kinder. Ich will nicht, dass sie sterben.«
Kirtu begriff die Welt nicht mehr. »Aber das ist beschlossen!«
»Wer hat es gesagt?«
»Das rote Phantom!«
Ich wischte seine Bemerkung mit einer Handbewegung zur Seite. »Es interessiert mich nicht. Ich werde die Menschen retten. Das rote Phantom liegt dort. Schau dir die Lumpen an. Es war Bluff, reiner Bluff. Er ist vernichtet worden.«
»Aber, Fremder«, sagte Kirtu und sprach zu mir wie zu einem kleinen Kind. »Es ist nicht vernichtet, man kann es nicht töten. Glaub es mir doch endlich.«
Ich wollte ihm widersprechen, dazu kam ich nicht mehr, denn plötzlich hörte ich eine Stimme. Sie hallte über den Platz, als würde sie aus einem großen Lautsprecher dringen, der hoch über unseren Köpfen angebracht worden war.
»Kirtu hat Recht, man kann das rote Phantom nicht vernichten. Nicht du, John Sinclair!«
Ich schrak zusammen, denn gesprochen hatte eine Frau.
Ivana!
***
Der alte Kirtu stand in meiner Sichtweite und er nickte, als wollte er die Worte bestätigen.
Ich musste mir erst den Frosch aus meiner Kehle hüsteln, bevor ich sprechen konnte. »Ivana?«
»Ja. Du hast sie doch gesucht. Jetzt hörst du ihre Stimme. Sie ist vorhanden, sie ist hier.«
»Wo ist sie?«
Kirtu hob beide Arme. »Überall. Es gibt keinen bestimmten Platz, an dem sie sich aufhält. Du kannst sie überall und nirgendwo finden. Daran solltest du denken. Lass dir meine Worte durch den Kopf gehen. Die Wahrheit ist oft nicht leicht.«
»Gut gesagt«, erwiderte ich und nickte. »Sogar sehr gut gesprochen. Ich fange allmählich an, es zu begreifen. Ich habe das rote Phantom tatsächlich nicht getötet. War es eine Attrappe oder was hat mein Dolch dort durchbohrt?«
»Frage sie.«
»Gut
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