Brandnacht (German Edition)
»I am the god of hellfire / and I bring you / FIRE!«
(Arthur Brown)
Der Tag fing ganz harmlos an. »Sandra will dich umbringen«, sagte Carol.
»Hm?«
Wir saßen in einer Fensternische von »Carol's Bar & Grill« mit Blick auf meine Werkstatt. Jeder hatte eine Flasche Corona vor und einen harten Arbeitstag hinter sich. Jenseits der Werkstatt, auf dem Gelände des alten Altonaer Güterbahnhofs, ging die Sonne unter, und der verrottete ehemalige Stellwerkturm ragte als schwarze Silhouette vor orangerotem Hintergrund auf. Sommer in Hamburg, sechzig Grad Fahrenheit, Tendenz stagnierend.
Ich nahm einen Schluck Bier und lehnte mich zurück.
»Jetzt einen Beef-Burger, innen schön rosig und so frisch, dass der Saft über die Finger tropft …«
»… und auf die Hose«, sagte Carol.
Sie sah hinreißend aus in diesem flammenden Scheinwerferlicht.
»Mein Overall kann das ab«, sagte ich und deutete auf die antiken Ölflecken. Auf der Brusttasche stand das Gleiche wie auf dem Schild über dem Werkstatt-Tor: »Don Muller's Exile Style – American Cars Support Abroad«. Don Muller war ich, wenn ich mich nicht gerade als Jakob Rossi ausgab oder mich mit meinem vollen Namen Donald Jakob Muller-Rossi vorstellte. Ich bin ein Produkt der deutschamerikanischen Freundschaft mit italienischem Einschlag.
»Kann dein Overall auch Blut ab?«
»So rosig möchte ich den Burger dann doch nicht haben.«
»Ich meine nicht wegen des Burgers, ich meine wegen der nackten Frau in deinem Spind.«
»Hä?«
»Sandra meint, du wärst ein spätpubertärer Angeber.«
»Und deshalb will sie mich umbringen?«
»Ja, ja.« Carol griff nach ihrer Corona-Flasche und drückte die Limettenscheibe in den Hals.
»Dann muss sie ihre Lehre abbrechen.« Carols sechzehnjährige Tochter Sandra machte eine inoffizielle Kfz-Mechaniker-Ausbildung bei mir, nachmittags nach der Schule.
»Sie meinte, das mit den Autos sei jetzt sowieso passé.«
»Solange Amerika die Welt regiert, werden Autos über die Highways rollen.«
Sie lächelte: »Ich mag deine romantische Seite, Don Muller.«
Und ich deine grünen Augen, dachte ich. Über die nahe gelegene Eisenbahnbrücke donnerte ein Zug, dann rumpelte ein Lastwagen mit Bierkisten vorbei.
»Was ist mit dem Burger?«
Carol sah mich spöttisch an. »Das mit der nackten Frau in deinem Spind interessiert mich auch«, sagte sie.
»So nackt ist Yvonne auf dem Bild gar nicht«, sagte ich.
Sie schob die Corona-Flasche ein Stück beiseite. »Da, bitte, jetzt hast du dich verraten.«
»Hm?«
»Sandra meint, du würdest allen Ernstes behaupten, eine Pornodarstellerin zu kennen.«
»Es ist ein ganz harmloses Bild. Sie hat doch was an, so einen Schleier. Ist bloß eine Parfümwerbung.«
»Du interessierst dich neuerdings für Parfüm?«, fragte Carol.
Ich schlug mit der Faust auf den Tisch. »Jetzt fang du nicht auch noch damit an!«
»Vorsicht, das Bier!«
Die leere Corona-Flasche fiel auf den Boden und rollte unter die Sitzbank.
»Was geht euch überhaupt mein Spind an?«
»He, Donnie, was ist denn los? Bleib cool.«
Ich starrte sie wütend an.
»Ich mach dir jetzt deinen Burger, okay?«
»Erst noch ein Bier«, sagte ich.
Carol ging hinter den Tresen, holte noch eine Flasche aus dem Kühlschrank und stellte sie vor mich hin.
Dann drehte sie sich zum Grill um.
Sandra hatte sich unerlaubt an meinem Spind zu schaffen gemacht. Vielleicht war es ja nur Spaß gewesen, aber ich kann es nicht ab, wenn jemand sich an privaten Dingen vergreift.
Wir hatten gerade einen AMC Javelin reinbekommen, den ein Spinner aus Pinneberg auf einem Acker gegen einen Mähdrescher gefahren hatte. Aber meine inoffizielle Azubi war nicht ganz bei der Sache gewesen, hatte abwechselnd rumgealbert und geschmollt und mich damit nervös gemacht. Dann hatte sie aus lauter Übermut das Vorhängeschloss an meinem Spind mit einem Dietrich geöffnet, weil sie mir zeigen wollte, was für tolle Sachen sie von ihrem Klassenkameraden Skai gelernt hatte. Die Spindtür flog auf, und sie starrte gebannt auf das Bild von Yvonne. Ich hatte es in einem Anflug von Sentimentalität aus einer Frauenzeitschrift ausgeschnitten, die im Wagen eines Kunden herumgelegen hatte.
Wer kann schon von sich behaupten, ein Model zu kennen, das für »White Satin« wirbt? Warum sollte mir also peinlich sein, ein Foto von Yvonne aufzuhängen? Ich hatte sie auf einer Party meines Kumpels Heiner kennen gelernt. Heiner war Buchhändler und kannte eine Menge Promis.
Weitere Kostenlose Bücher