0675 - Der falsche Buddha
Ich konnte es genau sehen, wenn ich in die Tiefe schaute. Da bewegte es sich immer weiter vor. Aus meiner Sichtperspektive bestand es eigentlich nur aus Maul.
Das Höllenloch war nichts anderes als ein Schacht, in dem ich schwebte. Und das über dem Maul der Bestie! Dabei lag ich nicht auf einem Netz, sondern hing an vier Seilen fest, von denen die Handgelenke und die Oberarme umklammert wurden. Sie liefen seitlich weg und waren an starken Haken befestigt, die außerhalb des Schachts aus dem Boden schauten. Man hatte die Seile sehr straff gespannt. Sie drückten sich kaum durch, obgleich sie mein Gewicht spürten.
Am Schachtrand standen sie.
Männer mit fremden Gesichtern, die mich überfallen hatten, als ich aus dem fahrenden Zug geflohen war. Fremde Gesichter, glitzernde Augen, in denen kein Erbarmen zu lesen war. Ich kam mir vor wie jemand, der als Opfer für die Bestie diente und noch eine gewisse Wartezeit zu überbrücken hatte, bevor sie das Opfer verschlang.
Ob man irgendwann die Seile durchtrennen würde oder es der Bestie gelang, sich an mich heranzuschieben, um mich zu verschlingen, unter diesen beiden Alternativen konnte ich wählen. Jedenfalls versuchte das Krokodil alles, um an der gemauerten Schachtwand in die Höhe zu klettern. Und seine Chancen standen nicht schlecht.
Das Blut war nicht grundlos in die Tiefe des Schachts gekippt worden. Sein Geruch mußte auch die schuppige Bestie wild gemacht haben. Die unter mir aufklingenden Geräusche jedenfalls ließen auf nichts anderes schließen.
Da mischte sich ein böses Knurren hinein in röhrende Laute, die wiederum von einem Keuchen durchdrungen wurden.
An die heftigen Schmerzen in meinen Armen hatte ich mich zwar nicht gerade gewöhnt, aber sie waren nicht mehr so schlimm wie zu Beginn. Das harte Reißen hatte sich stabilisiert, eigentlich spürte ich sie kaum noch, nur in den Achselhöhlen und direkt an den Schultern hatte ich den Eindruck, als sollte beides sehr schnell abgerissen werden.
Die Männer warteten, auch ich konnte nur warten. Es war sinnlos, den Leuten Fragen zu stellen. Sie verstanden mich wohl nicht oder wollten nicht verstehen.
Ich war eine Weile in einer Hütte gefangen gewesen und hatte Zeit genug gehabt, über sie nachzudenken. Ich konnte mir nur vorstellen, daß ich irgendeiner Sekte in die Hände gefallen war, die sich im tropischen Wald versteckt halten mußte.
Möglicherweise hatte mich das Schicksal auch zwischen zwei Fronten getrieben, denn mit dem eigentlichen Fall, der mich nach Indien getrieben hatte, war diese Gruppe wohl nicht beschäftigt. Den verfolgten wahrscheinlich Mandra Korab und Suko weiter.
Und die Bestie tobte!
Ich gewann den Eindruck, daß sie sich nicht damit abfinden konnte, so tief unter der Beute zu liegen, deshalb versuchte sie alles, um an der Schachtwand hoch und in meine unmittelbare Nähe zu klettern. Das Krokodil kratzte mit seinen Füßen über das Gestein, es bewegte seinen Schwanz sehr heftig. Der Aufprall ließ die Steine heftig erzittern.
Manchmal hatte ich den Eindruck, über einem Drachen zu schweben, der jeden Augenblick Feuer speien konnte, das mich zu Asche verbrannte.
Wie lange ich schon in dieser gefährlichen und menschenunwürdigen Lage hing, wußte ich überhaupt nicht, denn mir war das Zeitgefühl völlig abhanden gekommen.
Der Tod war nahe…
Ich wechselte meinen Blick. Manchmal schaute ich nach oben, dann wieder in die entgegengesetzte Richtung. Der Körper der Bestie bewegte sich im Schein der Fackeln. Er sah aus, als wäre er angemalt worden, und ein Muster aus rotem Licht und düsteren Schatten huschte über ihn hinweg. Hin und wieder kippte das Maul zu, dann bewegten sich beide Kieferhälften, als wollten sie etwas zermalmen.
Der Schacht war ziemlich tief. Das Krokodil mußte eine gewaltige Kraft einsetzen, um überhaupt in meine Nähe zu gelangen. Im Vergleich zur Schwere seines Körpers ein fast unmögliches Unterfangen. Wenn die Männer über mir ein Opfer geben wollten, dann mußten sie die Riemen durchschneiden, damit ich in die Tiefe und womöglich in das weit geöffnete Krokodilmaul hineinfiel.
Von den Schmerzen im Kopf merkte ich so gut wie nichts. Sie waren von den anderen völlig überlagert worden. Ich atmete laut, es kam mir vor, als würden diese Geräusche selbst die des Krokodils unter mir übertönen.
Dann zuckte ich trotz meiner starren Lage zusammen und zog unwillkürlich die Beine an, als die Bestie einen ersten Sprungversuch unternahm. Sie
Weitere Kostenlose Bücher