07 - Ein Grab im Dschungel
fluchte Tom, fuhr herum und lief davon. Den Scheinwerfer schaltete er aus. Vielleicht erschwerte das die Jagd der Bestie. Aber wahrscheinlich brauchte sie ihn gar nicht zu sehen. Es reichte, ihn zu wittern.
Tom rannte, so schnell ihn seine Füße trugen, sprang über Hindernisse, die er im grauenden Morgen mehr erahnte als sah, rutschte aus, rappelte sich hoch, hetzte weiter. Geäst und Dornen zerrten an seiner Kleidung, rissen Löcher hinein und seine Haut auf. Er blutete längst aus einem Dutzend Wunden.
Und dann war auf einmal kein Boden mehr unter seinen Füßen. Er hatte das Gefühl zu fallen, versank bis zur Brust in Schlamm, der ihn wie eine kalte, schwere Haut einhüllte. Und über Toms Lippen schwappte modrig schmeckendes Wasser.
Ein Sumpfloch!
Das war’s!, durchfuhr es ihn. Du wirst sterben. Wenn nicht durch das Raubtier, dann im Moor.
***
Zwei dünne Beine erschienen vor Tom, die Füße halb im aufgeweichten Boden versunken – während er selbst schon fast bis zum Hals im Sumpf steckte.
Inzwischen war es etwas heller geworden, aber immer noch so dämmrig, dass es eher Nacht als Tag war. Die Unwetterwolken und der Regen trugen zu einer völlig unwirklichen Atmosphäre bei.
Tom hatte Arme und Beine gespreizt und verhielt sich ruhig, um nicht noch schneller unterzugehen. Aber er fühlte sich trotzdem wie von Händen in die Tiefe gezogen.
»Hol mich raus!«, rief er dem Jungen mit den alten Augen zu. »Wirf mir etwas her, einen Ast oder irgendwas.«
Der Junge schüttelte den Kopf so heftig, dass sein fast weißes Haar flog. Anstatt Tom zu helfen, rief er: »Mutter!«
Es knackte im Grau und Schwarz des wuchernden Gestrüpps rings um die Lichtung, in deren Zentrum das Sumpfloch lag, unter der blattlosen Krone eines Baumes.
Der Alligator kam. Ohne Eile. Neben dem Jungen verharrte er, ließ sich nieder.
»Was …?«, kam es Tom von den Lippen. Er verstand die Welt nicht mehr.
Der Junge griff hinter sich. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt er ein altes Schwert darin, dessen Spitze abgebrochen war.
Für Tom fügte sich ein weiteres Puzzleteil zum anderen. Trotzdem begriff er nicht, was er da sehen sollte. Und es machte wohl auch keinen Unterschied mehr. Er sank und sank, nicht schnell, aber unaufhaltsam.
»Retten kann ich dich nicht«, sagte der Junge. »Aber gnädig kann ich dir sein.«
Der riesige Alligatorenschädel schob sich nach vorne, über den Rand des Sumpflochs hinweg, auf Tom zu. Bis kaum noch eine Handlänge Platz zwischen seinem Gesicht und der gewaltigen hornigen Schnauze war, aus deren Oberkiefer die Zähne über den unteren griffen.
Dann kam der Junge. Den Tierschädel wie einen Steg benutzend, trat er vor Tom hin und ragte scheinbar riesengroß über dem Archäologen auf. Sein Schwert hielt er mit beiden Händen umfasst und hob es an, sichtlich bereit, es im nächsten Moment nach unten zu stoßen, Tom direkt in den Kopf.
Tom sah nach oben. In die Augen des Jungen. »Lass den Scheiß!«, keuchte er. Wieder lief ihm Sumpfwasser in den Mund. Er spuckte es aus.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Das hilft nichts. Glaub mir, ich tue dir einen Gefallen.«
» Hilfe!«, schrie Tom aus Leibeskräften. Aber wer sollte ihn hören?
In diesem Moment flutete weißes Licht die Szenerie.
Tom sah, wie der Junge nach oben schaute, zu der entlaubten Krone des uralten Baumes hinauf, als erwartete er, dort etwas Bestimmtes zu sehen – etwas, vor dem er sichtlich einen Heidenrespekt hatte.
Doch da oben war nichts.
Von der Seite her raste etwas laut brummend auf die Lichtung zu.
Aus einer Lücke im Dickicht brach ein Sumpfboot hervor. Tom erkannte Abigail am Ruder.
Das Boot schoss halb über das Sumpfloch, bis der Bug nur Zentimeter von Toms Kopf entfernt zum Stillstand kam.
Der Schreck hatte den Jungen die Balance verlieren lassen. Und als er mit den Armen rudernd das Gleichgewicht wieder fand, machte ihm der Alligator einen Strich durch die Rechnung.
Das heranrasende Sumpfboot, der Lärm und das Licht hatten den Riesenalligator erschreckt, so sehr, dass er den gewaltigen Schädel hochriss und der darauf stehende Junge mit dem Schwert in der Hand davongeschleudert wurde.
Unterdessen hatte Tom eine Hand aus dem sumpfigen Wasser heben können und Halt am Bug gefunden. Sein Blick reichte gerade über die Kante der flachen Bootswandung. Er sah Abigail in ihrem Rucksack kramen.
»Verdammt, was soll das?«, rief er. »Wir müssen …«
Weiter kam er nicht. Hinter ihm und ganz nah
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