07 - komplett
Schatten hin und her. Ein schäbiger Tisch stand in der Mitte des Raums, an den Planken festgenagelt, von Kisten, Fässern und wackeligen Stühlen umgeben. Auf eine der Kisten wurde Francesca verfrachtet. Mr White saß ihr gegenüber, die Hände auf seinem Spazierstock, und musterte sie.
Wie sie jetzt feststellte, war er trotz des Stocks kein alter Mann. Sein schmales Gesicht wirkte ausmergelt, wies aber keine Falten auf. Und er hatte kein weißes, sondern hellblondes Haar. Im Hintergrund lungerten zwei oder drei Besatzungsmitglieder herum.
„Fesseln und knebeln Sie die Frau, Mr Black“, verlangte Mr White. „Vorerst wird sie da drin gefangen gehalten.“ Er zeigte auf eine Tür. „Wenn wir uns weit genug von der Küste entfernt haben, werden wir uns um sie kümmern.“
Sie hörte, wie sich der Mann bewegte, der hinter ihr stand.
„Getrauen Sie sich etwa nicht, eine Frau unsanft anzufassen, Mr Black?“
Hinter Francesca erklang leises Gelächter. „Was Frauen betrifft, empfand ich schon viele Gefühle – allerdings keine Angst.“
Auch Mr White lachte.
„Sie haben mir eine vergnügliche Nacht versprochen, Sir“, fuhr Mr Black fort.
„In der Tat“, stimmte der blonde Mann zu.
„Und eine großzügige Aufbesserung meiner Investition.“
„Eine sehr großzügige, Mr Black. Nehmen Sie mich beim Wort.“
„Das werde ich tun.“ Zwei Stricke locker in der Hand, trat Mr Black vor die Kiste, auf der Francesca saß.
Zum ersten Mal betrachtete sie diesen Mr Black. Er war Mitte bis Ende zwanzig, hatte kurz geschnittenes braunes Haar und ein glatt rasiertes Gesicht. In dem schwachen, flackernden Laternenlicht schweifte ihr Blick über seine Züge. Kraftvoll, regelmäßig, sehr maskulin – ein markantes, energisches Kinn, ausdrucksvolle Lippen, so dunkle Augen, dass sie fast schwarz erschienen. Seine Haltung bekundete lässige Arroganz. Zweifellos gehörte er gehobenen, wohlhabenden Kreisen an, trotz seiner eher schäbigen Kleidung. Auf verwegene Art sah er attraktiv aus. Und er musste ein Schurke sein, ein Mitglied der Diebesbande, in deren Fänge ihr Bruder geraten war.
Unwillkürlich erschauerte sie.
„Kommen Sie, kleine Spionin.“ Er ergriff ihren Ellbogen, zog sie von der Kiste hoch und führte sie in eine angrenzende Kabine. Die Tür hinter sich ließ er offen, sodass etwas Licht aus dem Frachtraum hereinfiel, in dem Mr White saß und seinen Stock umherwirbelte.
Mr Black fesselte ihr die Hände auf dem Rücken. Immerhin achtete er darauf, dass der Strick nicht in ihre Handgelenke schnitt. Dann setzte er sie auf den Boden und band auch ihre Fußknöchel zusammen, zog ein sauberes weißes Taschentuch hervor und faltete es zu einem langen Streifen.
Erschrocken riss Francesca die Augen auf. „Sie müssen mich nicht knebeln, ich werde nicht schreien.“
„Daran hätten Sie im Hafen denken sollen.“
„Mit diesem Tuch vor meinem Mund kann ich nicht atmen.“
„Keine Bange, Sie werden ausreichend Luft kriegen.“
„Bitte!“ Sie fand es schlimm genug, dass er sie wie ein Huhn für die Bratpfanne verschnürt hatte. Auch noch geknebelt zu werden ... Das ertrage ich nicht, dachte sie, einer Panik nahe.
Da schaute er sie mit diesen schwarzen Augen an. Sie glaubte schon, er würde sich erweichen lassen. Aber er entgegnete: „Sie haben sehr scharfe Zähne, Miss. Falls Sie planen, mich noch einmal zu beißen – das möchte ich nicht riskieren.“
Seine Stimme klang kühl und überheblich, ein krasser Gegensatz zu dem Blick, den er ihr zuwarf, zur sanften Berührung seiner Hände. Behutsam umfasste er ihr Kinn, öffnete die Bänder ihres Huts und legte ihn auf einen kleinen Tisch. Genauso sachte streiften seine Finger ihre Wange, bevor er das Tuch vor ihre Lippen legte und an ihrem Hinterkopf verknotete. Eine Zeit lang schaute er sie an, dann richtete er sich auf, kehrte in den Frachtraum zurück, wo die Laterne brannte, und schloss die Tür.
Allein in schwarzer Finsternis, sorgte Francesca sich um ihre Mama, die am nächsten Morgen nicht nur das Verschwinden ihres Sohnes, sondern auch ihrer ältesten Tochter beklagen würde. Statt ihren Bruder zu retten, hatte sie die Situation noch verschlimmert.
Mr Black – oder Lord Jack Holberton, wie er in Wirklichkeit hieß – nahm einen Schluck Cognac aus seinem Taschenflakon. An diesem Abend wäre beinahe alles verdorben worden, wegen eines Mädchens, das der Schmugglerbande im Hafen nachspioniert hatte. Die Arbeit von zehn Monaten, fast umsonst
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